Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)
ihre Kräfte nicht mehr aus, und die letzten Funken Ärger verwandelte von Tempsky zwei Tage später, schon in Sichtweite von Wanganui Town, mit einer bemerkenswert kurzen Abschlussansprache in Stolz.
»Jetzt seid ihr Forest Ranger«, sagte er.
97.
Am schwierigsten war es, seine Mutter in den Stall zu bekommen.
Dass Gandalod ihr – und nur ihr – noch etwas sagen wollte, würde sie niemals glauben. Sie hätte einfach befohlen, ihn totzuschlagen, wenn er nicht redete. Konnte sie in der letzten Nacht etwas verloren haben, was man dort suchen müsste? Dann hätte sie ihn allein auf die Suche geschickt. Nein, er musste eine kleine Komödie inszenieren, und selbst das dürfte schwierig werden.
»Mutter?«
Sie saß in ihrem Zimmer und las zum tausendsten Mal, wie der Edelknabe des Meeres von seinem Vater König Perion und seiner Mutter Helisena erkannt ward.
»Ja?« Es war eines ihrer Lieblingskapitel.
»Können wir reden?«
Madame Bonneterre lächelte böse. Desmond hatte den Kampf also noch nicht aufgegeben. »Sicher.«
Bonneterre trat ins Zimmer und sah beinahe sofort aus dem Fenster. »Ein schöner Tag.«
»Desmond«, seufzte sie, ein wenig ärgerlich, ein wenig belustigt. »Was willst du?«
»Herrgott!« Er errötete wie ertappt. »Kann ein Sohn nicht mit seiner Mutter über das Wetter reden?!«
»Nein.« Madame Bonneterre lachte jetzt leise. »Jedenfalls nicht, wenn du der Sohn bist und ich die Mutter bin.«
Auch Bonneterre musste unwillkürlich über diese treffende Bemerkung lachen und setzte sich. »Warum eigentlich Desmond?«, fragte er unvermittelt und zeigte dabei auf ihr Buch. »Warum nicht Amadis? Oder Galaor?«
Sie stutzte über diese unerwartete Frage. »Dein Vater war kein sonderlich kultivierter Mensch«, antwortete sie dann, und sie hatte recht. François Bonneterre, geborener du Rausset, war trotz seiner vornehmen französischen Herkunft ein Bauer gewesen, und das Leben als Prinzgemahl auf der großen Plantage hatte seine primitivsten Eigenschaften zum Vorschein gebracht. Der Alkohol und die Syphilis beendeten glücklicherweise schon nach weniger als zehn Jahren eine Ehe, die lediglich in finanzieller Hinsicht ein Erfolg gewesen und auch nur ein einziges Mal vollzogen worden war. Nur bei der Zeugung und dem Vornamen seines Sohnes hatte sich du Rausset gegen sein übermächtiges Weib durchsetzen können.
»Gehen wir ein paar Schritte?«, fragte Desmond Bonneterre.
»Wozu?«, erwiderte seine Mutter.
»Einfach um der alten Zeiten willen«, sagte er mit seinem offensten Gesichtsausdruck. »Wir waren selten eine richtige Familie, aber woran ich mich erinnere, sind unsere Spaziergänge sonntagnachmittags!«
»Soweit ich mich erinnere, hast du sie gehasst. Sowohl die Spaziergänge
als auch die Sonntagnachmittage. Und wahrscheinlich sogar die Familie.«
Er überhörte die letzte Bemerkung. »Damals vielleicht. Aber wenn ich zurückschaue, sind sie beinahe das Einzige, was ich mit meiner Kindheit verbinde.« Er stand auf und bot ihr die Hand.
»Du willst über deine Kindheit sprechen?« Madame Bonneterre kräuselte verächtlich die Lippen und dachte an die Übelkeit, die sie während der einzigen Schwangerschaft ihres Lebens fast neun Monate lang aus jeder besseren Gesellschaft ausgeschlossen hatte. Zeitweise hatte sie geglaubt, sie würde das Kind eines Morgens einfach aus sich herauswürgen.
»Nein, aber über meinen Jungen!« Noch immer hielt er die Hand ausgestreckt, ein vertriebener Königssohn, der sich mit seinem Schicksal abgefunden hatte. »Da ich ihm nun schon kein Vater sein darf, denke ich, habe ich ein Recht darauf, über seine Erziehung zu reden!«
»Ich denke, es ist das Beste für seine Erziehung, wenn du ihm kein Vater bist«, sagte sie ironisch, stand aber nun immerhin auf und warf sich ein Tuch über die Schulter, um seinen seltsamen Bewegungsdrang zu befriedigen.
98.
Lucy Takiora Lord hatte in ihrem kurzen Leben bereits viele Namen getragen. Geboren als Tochter einer ehemaligen Maorisklavin und Witwe eines weißen Grobschmieds namens Alexander Grey, war sie am 9. Oktober 1842 auf den Namen Lucy Elizabeth Grey getauft worden, wurde aber schon sechs Monate später zu Lucy Lord, als ihre Mutter ihren vermutlichen Vater, den Metzger William Lord, heiratete.
Keine achtzehn Jahre später heiratete Lucy selbst den Wanganui-Krieger Te Mahuki und nannte sich jetzt Takiora. In den Taranaki-Kriegen diente sie gemeinsam mit ihrem Mann den Pakeha-Streitkräften als Scout,
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