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Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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ernsthaften Gefahr befand, selbst als sie schon auf dem Boden lag. Gewiss, der Nigger hatte sich losgerissen und sich auf sie gestürzt, aber das geschah ja am helllichten Tag, in einer weißen Stadt. Desmond war da, wenn er auch die Wache weggeschickt hatte. Gleich würde der entsetzliche Druck auf ihre Kehle aufhören, und es ärgerte sie bereits, dass sie im ersten Erschrecken einen kleinen Schrei ausgestoßen hatte.
    Contenance! Sie wehrte sich nicht. Ihr Leben lang waren ja Männer, Peitschen, Ketten und Gesetze da gewesen, die sie vor den Händen ihrer Sklaven beschützten, und diesmal würde es nicht anders sein. Erst der Faustschlag, der sie mitten ins Gesicht traf, belehrte sie eines Besseren. Ihre aristokratische kleine Nase schwoll an, sie schmeckte Blut auf ihren Lippen, aber sie wurde nicht ohnmächtig, im Gegenteil.
    Alles wurde ihr plötzlich enthüllt, kristallklar sah sie es vor sich: Sie
war in die Falle gegangen! Und in tödlichem Hass blickte sie nicht auf das schwarze Tier, das auf ihrem Brustkorb kniete und ihre Rippen mit seinem Gewicht zerbrach, sondern auf ihren Sohn, der mit seltsam verzerrtem Gesicht dabei zusah.
    Ihre Augen blitzten vor Wut, aber noch immer wehrte sie sich nicht, um Desmond nicht die Befriedigung zu geben, sie unter den Händen des Niggers zappeln zu sehen. Erst in der Agonie bäumte sich ihr kleiner Körper plötzlich mit erstaunlicher Gewalt auf und wehrte sich lange dagegen, dass ihm das Leben genommen wurde, dass die schweren, schwarzen Finger ihm den Atem raubten.
    Marie- Therese Helisena Milisande Bonneterre bleckte die Zähne und versuchte, den Nigger zu beißen, traf aber nur ihre eigene Zunge, die sich unglaublich weit aus der Kehle geschoben hatte, ohne dass sie es wusste. Das Letzte, was sie auf der Welt fühlte, war das Versagen ihres Schließmuskels. Nein, die Scham darüber.
    Ein Geräusch ließ Desmond Bonneterre herumfahren, und kaum hatte er den Mann gesehen, der hinter ihm stand, da ließ er den schweren Eichenholzknüppel, den er die ganze Zeit umklammert hielt, auf Gandalods Hinterkopf niedersausen. Er fühlte, wie die Hirnschale des Niggers zersprang, schlug aber trotzdem noch zweimal zu; um ganz sicherzugehen und auch weil er glaubte, dass dies von einem Mann in seiner Situation erwartet würde.
    »Mutter! Mutter!«, rief er mit stark übertriebener Empathie und warf sich neben ihrer Leiche auf die Knie. Dabei überlegte er bereits fieberhaft, wie lange Gabriel Beale bereits zugeschaut hatte und wie viel er erraten würde.

101.
    Die York- und die Rutland-Stockade, also die beiden palisadenbewehrten Forts, die die Engländer an beiden Seiten von Wanganui Town errichtet hatten, waren für Besatzungen von je zweitausend Mann ausgelegt. Entsprechend verloren kam sich die
kleine neuseeländische Truppe auf dem vergleichsweise riesigen Posten vor. Dennoch fiel es John Gowers schwer, die Suche nach James Fagan auch nur zu beginnen, denn nach den schlechten Erfahrungen mit den Desertionen in McDonnells Abteilung hatte man von Tempskys Männer am entgegengesetzten Ende der Stadt, in der Rutland-Stockade, einquartiert. Eine Ausgangserlaubnis wurde nur ausnahmsweise erteilt, täglicher Drill sollte die Rekruten auf andere Gedanken bringen beziehungsweise jeden individuellen Gedanken in ihnen töten, und selbst wenn der Investigator seine Versetzung in die York-Stockade erreicht hätte: Unter welchem Vorwand sollte er die mit den neuseeländischen Freiwilligen über vierhundert Männer von McDonnells Truppe auf drei Monate alte, womöglich verborgene Narben absuchen? Dass James Fagan seinen Namen geändert hatte, setzte er als keiner weiteren Überlegung wert ohnehin voraus.
    Seine vorzüglichste Hoffnung wurde sein Kommandeur; aber von Tempsky schien ihn vergessen zu haben oder hatte nach den Anstrengungen des Marsches in einem kleinen Haus in »The Rookery« Besseres zu tun, als sich der sehr speziellen Probleme eines einzelnen seiner Männer zu erinnern. Nach zwei Tagen trostlosen Garnisonsdienstes schickte Gowers seinem Vorgesetzten deswegen Byrons Cain , mit besten Grüßen und der Anmerkung: 3.3.3.
    Es kostete von Tempsky fast eine halbe Stunde, herauszufinden, dass der dritte Auftritt in der dritten Szene des dritten Akts gemeint war, und erst dann las er:
    Engel: Wo ist dein Bruder Abel?
    Cain: Soll ich meines Bruders Hüter sein?
    Engel: Was tatest du? Das Blut deines erschlagenen Bruders schreit zum Himmel. Ein Flüchtling sollst du sein von diesem

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