Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)
zeitweise die mächtigste Berufsorganisation der Vereinigten Staaten – aufzunehmen. Der Engländer blieb ein freier Lotse, der an den Vorteilen des Verbandes – und das waren insbesondere die an allen Anlegestellen von allen Verbandslotsen in besonders verschlossenen Postkästen hinterlegten Nachrichten über Wasserstände, Fahrrinnen und Hindernisse des Flusses – nicht partizipierte. Zeitweise war seine berufliche Existenz sogar insofern bedroht, als der Verband ein Gesetzesvorhaben einbrachte, das die Reedereien verbindlich dazu verpflichten sollte, nur noch organisierte Lotsen zu beschäftigen. Aber immer wieder fanden sich kleinere Unternehmen und gewagtere Transportaufgaben, für die der Engländer verpflichtet wurde, und sein Erfolg mit der Eclipse würde ihm wohl wieder für einige Jahre ein Auskommen sichern.
14.
Tatsächlich war John Gowers noch keine zwei Tage in St. Louis, als ihm wieder eine Heuer in den Süden angetragen wurde. Er tat also, was er immer tat: lieh sich ein halbes Dutzend Bücher in der Bibliothek der Literarischen Gesellschaft von St. Louis und war eine knappe Woche später wieder in New Orleans. Er hatte in diesen zwei Jahren den Mississippi bis hinauf nach St. Paul befahren, den Ohio bis Cincinnati, den Missouri, Arkansas und Red River einige Male bis in die jungen Städte des Westens, Kansas City, Fort Smith, Alexandria. Aber seine Heimat war das französische Viertel der bunten, trägen Stadt geworden, in der der alte Meschacebé, der zuletzt stracks Richtung Osten geflossen war, sich endlich dazu entschloss, den noch siebzig Meilen weiter südlich gelegenen Golf von Mexiko aufzusuchen.
In gewissem Sinne war es New Orleans gewesen, das den gesamten riesigen Westen des Kontinents in den Besitz der Vereinigten Staaten brachte – denn nur diese eine Stadt sollte Robert Livingstone, US-amerikanischer Gesandter in Paris, im Jahr 1803 den Franzosen abkaufen. Der französische Verhandlungsführer, ein gewisser Napoleon Bonaparte, gab dem Amerikaner jedoch zu verstehen, dass diese strahlende Perle nicht ohne die hässliche, unwegsame Auster zu haben
sei; und so wechselte für siebenundzwanzig Millionen Dollar, die in den dritten Koalitionskrieg und die Schlacht von Austerlitz investiert werden konnten, ganz Louisiana – das damals noch bis zu den Rocky Mountains reichte – den Besitzer.
Mitgekauft wurde ein Bevölkerungsgemisch, das es in dieser Weise weder in Amerika noch sonst in der Welt noch einmal gab. Reinblütige französische Kreolen, die einst die vermögende Oberschicht der karibischen Inseln ausgemacht hatten, ehe Revolutionen, Sklavenaufstände oder britische Kriegsschiffe sie ans amerikanische Festland spülten, wo sie Zuckerrohr- und Baumwollplantagen in der Größe europäischer Fürstentümer begründeten. Spanier und Spanisch sprechende Mulatten aus der Unter- und Mittelschicht der Großen Antillen; Mischlinge in den reizvollsten Brauntönen, die zum großen Ärger der Kreolen oft mit diesen gleichgesetzt wurden. Amerikaner selbstverständlich. Weiße, angelsächsische Protestanten, die auf der Suche nach Anbaugebieten für ihren Virginiatabak vor drei, vier, fünf Generationen die Alleghenies überschritten und das Tal des Tennessee durchzogen hatten und dann doch auf Baumwolle umgestiegen waren.
Eine Unmenge schwarzer Sklaven, die für ihre unterschiedlichen Herren all diese Produkte pflanzten, hegten, ernteten, hier und da Überlebende der indianischen Urbevölkerung, Natchez und Seminolen, dazu gestrandete Seeleute aller Nationen und Rassen. Die Quadroons, die stolz darauf waren, Anteile all dieser Völkerscharen in sich zu vereinen, und schließlich die Acadiéns oder Cajuns; französische Katholiken, im 18. Jahrhundert von den Briten aus Kanada deportiert, für die in Louisiana kein Land mehr übrig gewesen war und die in den Mangrovensümpfen ein nahezu amphibisches Dasein als Reisbauern und Reptilienjäger führten.
In New Orleans stieß all das zusammen, ohne dass es zur Explosion kam: Voodoo und Katholizismus, angelsächsisches Kalkül und das heiße Blut der Karibik – es war kein Wunder, dass die Stadt im Rest der Vereinigten Staaten als unzivilisierbarer Sündenpfuhl galt. Ein Wunder war, dass alle halbwegs miteinander harmonierten oder sich
zumindest arrangierten, dass New Orleans so friedlich, so fröhlich blieb. Nur nachts durchstreiften vielköpfige, organisierte Räuberbanden die Stadt, die aber selten etwas anderes als
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