Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
Vom Netzwerk:
sich gegenseitig ausplündern konnten. So war selbst die Kriminalität in New Orleans eine Art Sport, den seine Opfer gemeinhin überlebten, wenn sie sich an die Regeln hielten.
    John Gowers wohnte im Vieux Carré oberhalb der großen Flussschleife nach Süden, bewohnte wahrhaftig seit zwei Jahren und damit länger als jemals zuvor seit der Vertreibung aus seiner Kindheit zwei kleine Zimmer im Obergeschoss eines Vergnügungsetablissements der gehobenen Preisklasse. Er hatte sogar Bilder an die Wand geheftet, benutzte einen Teil des rings um das Haus laufenden Balkons mit den schmiedeeisernen Geländern zum Frühstücken und war einer bürgerlichen Existenz nie näher gewesen. Die Eigentümerin und Betreiberin des Bordells, eine etwa vierzigjährige Mulattin, deren angelsächsischer Blutanteil lediglich in den ungewöhnlich »weißen« Namen Margret-Ann eingeflossen war, hatte er sich verpflichtet, weil er gelegentlich rabiate, betrunkene oder zahlungsunfähige Kunden aus dem Haus warf, und auch die Mädchen mochten ihn, denn er behandelte sie wie Damen und war im Bett ungewöhnlich zärtlich.
    Die schwüle Hitze, die den meisten Menschen zu schaffen machte, genoss er in vollen Zügen; vermutlich, weil er so lange im Eis gelebt hatte. John liebte den Süden und die brennende Sonne, liebte den Schweiß, der bei der kleinsten Bewegung den Rücken hinunterlief und die Haut seiner wechselnden Bettgefährtinnen glatt und angenehm salzig machte. Maggie hatte ihm ein neues Mädchen zugeführt, eine sehr helle Negerin, und er durchwanderte ihren warmen Körper mit Händen und Lippen, knetete, satt geliebt, schließlich die Muskeln ihres Rückens, ihr großes, aber festes Gesäß, ihre Beine, bis sie schnurrte wie eine Katze.
    Es war die vielleicht zärtlichste Behandlung in ihrem höchstens neunzehnjährigen Leben und machte sie weicher, jünger, als sie seit ihrer Kindheit gewesen war. Maggie hatte sie auf dem lokalen Sklavenmarkt
erworben und mit ihr den gleichen Handel abgeschlossen wie mit all ihren farbigen Mädchen. In zwei, höchstens drei Jahren würde sie genug verdienen, um sich freikaufen zu können und in den Norden zu gehen. Die Zinsen des in sie investierten Kapitals waren die sexuellen Dienstleistungen, die sie erbrachte und die die Kundschaft enger an Maggies Haus binden würde. Und obwohl auch er die Früchte dieses Handels genoss, wusste John, als das Mädchen in seinem Arm schlief wie ein Kind, wieder einmal, was ihn am Süden störte.

15.
    Es war eine bestürzend einfache Erkenntnis, die den Investigator veranlasst hatte, sich in Melbourne niederzulassen: Niemand auf der Welt wartete auf ihn. Diese Erfahrung war für John Gowers etwas so Selbstverständliches, dass er nicht einmal das Bedürfnis hatte, darüber nachzudenken.
    In Kalkutta, als seine Wunden heilten, hatte er zuerst eine Passage nach England abwarten wollen, aber die Preise waren so unverschämt gewesen, dass er sich fragte, was er eigentlich in England wollte. Er dachte über die Kapkolonien nach, Südafrika. Zog Frankreich in Betracht, eine Reise durch das Rote Meer, Ägypten, den Mittelmeerraum. Australien war eigentlich nur die dritte Wahl gewesen, aber das Schiff, die Passage nach Perth günstig. Außerdem sprach man dort Englisch.
    Sein ursprünglicher Plan war gewesen, irgendwo an der Ostküste auf einem heimkehrenden Walfänger nach New Bedford oder Nantucket anzuheuern. Aber auch die Vereinigten Staaten, New York, New Orleans, waren ihm weniger Heimat und mehr Gewohnheit gewesen. Er merkte es, als er in Melbourne ankam. Hier fand er ein England, das ihm gefiel; britischer als das immer rascher und immer vollständiger industrialisierte Mutterland, aber jünger, unverbraucht. Die Reichtümer dieses Landes
waren noch nicht verteilt, und hinter den südlichen Ausläufern der Great Dividing Range lag ein ganzer Kontinent, unbekannt, unberührt.
    Er war jetzt einunddreißig Jahre alt, die meisten davon unterwegs gewesen, unruhig, unstet, von Ort zu Ort, Schiff zu Schiff, Meer zu Meer. John Gowers hatte beschlossen, zur Ruhe zu kommen. Die nicht unbeträchtliche Summe, die er in Indien verdient hatte, verschaffte ihm die entsprechenden Möglichkeiten  – den Wunsch redete er sich ganz bewusst ein, nachdem er an seiner Schläfe ein graues Haar entdeckt hatte.
    Seine Blicke in den Spiegel waren stets flüchtig gewesen, wenn man von der Zeit absah, als er in Deborah verliebt war und sich  – wie jeder junge Mensch  – gefragt hatte,

Weitere Kostenlose Bücher