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Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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vielleicht schon im nächsten auf dem Trockenen und musste darüber nachdenken, wie er seine Ernte zu dem inzwischen meilenweit entfernten Fluss bekam. Ein Märchen, das die Schwarzen im tiefen Süden gerne erzählten, handelte von einem Feldsklaven namens Tip. Der legte sich eines Abends auf einer Landzunge in Missouri und am Westufer des Mississippi schlafen und erwachte als freier Mann in Illinois, auf dem Ostufer. Ob das wirklich geschehen war, wusste niemand, aber es war möglich; denn der Fluss bildete an dieser Stelle die Grenze zwischen dem Sklaven haltenden und dem freien Staat.
    Für die Lotsen hieß all das, dass sie sich den gesamten Flusslauf, die Fahrrinnen, Inseln, Sandbänke und das übrige Groß und Klein nicht einmal, sondern einmal im Monat einprägen mussten. Das war nur möglich, indem sie ihn wieder und wieder befuhren, flussaufwärts, flussabwärts, bei Hoch- und Niedrigwasser, bei Tag und bei Nacht. Eines der ältesten Gesetze auf dem Mississippi sah deshalb vor, dass jeder Lotse kostenlos auf jedem Schiff mitreisen konnte, um sich den Fluss anzusehen. So kam es, dass auf beinahe jedem Dampfer  – vor allem auf denen, die für ihre gute Küche bekannt waren  – neben den angeheuerten und bezahlten Lotsen noch zwei oder drei ihrer Zunftbrüder mitfuhren, die dabei scheinbar nichts anderes taten, als über den Fluss und ihre früheren Fahrten auf ihm zu plaudern.
    Tatsächlich aber, und ohne dass sie diesen Prozess bewusst steuerten, registrierten diese Männer jede einzelne der sechs- bis achttausend Lotungen an Bug und Heck, Backbord und Steuerbord. Und wenn man ihnen auf der Reise statt ihrer Schiffergeschichten das Alte Testament vorgelesen hätte, hätten sie am Ende der Fahrt genau gewusst, dass man im Buch Josua, Kapitel sieben bis zweiundzwanzig, die Trockenbarre Nr. 10 oberhalb von New Madrid passiert hatte und dass die Lotungen an Backbord im Kapitel neunzehn, Vers dreiundzwanzig folgende, zweimal hintereinander nur twaineinviertel statt twaineinhalb betragen hatten  – was nur bedeuten konnte, dass die alte Sandbank sich nach Südwesten zu verlängern begann.
    Hatte er aus den Augenwinkeln gesehen, dass die Wurzeln einer großen Pappel an einer bestimmten Uferböschung bei Millikens Bend nicht, halb oder völlig zu sehen waren, wusste ein erfahrener Lotse, dass die Sandbänke vor Bayou Sarah, sechshundert Meilen weiter südlich, leicht, schwer oder gar nicht passierbar waren. Mit einem Wort: Die Mississippilotsen waren die vielleicht bemerkenswertesten Gedächtniskünstler des 19. Jahrhunderts  – ohne es allerdings zu wissen, denn ihr Gedächtnis arbeitete nicht nach irgendwelchen ausgeklügelten Systemen, sondern irgendwo unter ihrer Bauchdecke, zwischen Milz und Zwerchfell. Mit einer Ausnahme.

4.
    Neuseeland war nicht nur die letzte der pazifischen Landmassen, die, irgendwann im Hochmittelalter, von Menschen besiedelt wurde, es war auch, wie in einer zweiten Reflexion auf seine abgeschiedene geografische Lage, der letzte Winkel der Welt, den die Europäer gut fünfhundert Jahre später kolonisierten. Was die dabei geführten »neuseeländischen Kriege« von allen anderen kolonialen Auseinandersetzungen des Britischen Empires unterschied, war vor allem der Gegner, mit dem die Engländer es zu tun hatten.
    Die Maori waren ein junges Volk, unruhig, kriegerisch, aggressiv, letzter Spross im weit verzweigten Stammbaum der Tangata Whenua , kühner pazifischer Seevölker. Ihre Vorfahren kamen von den Marquesas, den Society- oder Cookinseln, und schon der Name, den sie dem neuen großen Land im Süden gaben, zeigt, dass seine Entdeckung und Besiedlung kein reiner Zufall war: Aotearoa   – die lange weiße Wolke.
    Die aktiven Vulkane der Nordinsel schleuderten Asche und Staub bis in die Stratosphäre, der stetige Westwind trug sie Tausende von Meilen über den Pazifischen Ozean, und die Bewohner weit entfernter Inseln, über denen diese Asche irgendwann niederregnete, mussten sich nur noch sagen, dass, wo Staub herkommt, auch Land sein muss. Nicht auszuschließen ist auch, dass irgendwelche von Stürmen verschlagenen Fischer die gigantischen Rauchsäulen selbst am unbekannten südlichen Himmel entdeckten und dem Ursprung der »langen weißen Wolke« auf den Grund gingen.
    Die Landnahme war von erheblicher Aggressivität geprägt. Pflanzen und Tiere, die sich in Jahrmillionen ungestört entwickelt hatten, wurden binnen zweier Menschenalter ausgerottet, vernichtet, abgeholzt.

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