Flucht ins Ungewisse
als wollte er eine Fliege verscheuchen.
Ich seufzte. „Ich weiß, es hört sich an, als wär ich nicht ganz dicht im Kopf, aber seit Amanda glaube ich so ziemlich alles.“
Nick setzte seinen Dauerlauf vor dem Wohnwagen fort. Bald würde eine tiefe Furche im Boden zurückbleiben. Ich saß auf den drei eisigkalten Stufen, die zur Tür führten.
„Du meinst also wirklich, dass dein Blut …“, begann er, hielt aber dann inne, um sich mit Zeigefinger und Daumen über die Augenbrauen zu streichen. Er wurde etwas ruhiger. „Sie, diese Lora, hat etwas von deinem Blut abbekommen, weshalb ihr euch nun gegenseitig anzieht. Richtig? So wie bei Amanda? Dein Leben wird immer mehr zu einem schlechten Mädchenroman.“
Ich lachte leise, aber es klang nicht echt. Es war viel eher der Wahnsinn, den ich mit aller Macht zurückhielt. Nun hatte ich sie doch mit hineingezogen. Und das auch noch völlig unbewusst. Und ohne die Stimme wäre ich wahrscheinlich nie darauf gekommen.
Ich fragte mich nur, warum die Stimme mir das nicht früher erzählt hatte, wenn sie alles mit angesehen hatte.
„Ich dachte, du hättest es ähnlich wie Amanda gemacht, um dein Schicksal etwas zu erleichtern, wenn du verstehst?“ , hatte er gesagt. Als ob ich Amanda irgendetwas nachmachen wollte. Und überhaupt wusste ich nicht einmal, dass das ging! In dem Moment hätte ich ihm einfach zu gerne eine gescheuert.
„Ich wollte das wirklich nicht“, bedauerte ich. Mein Leben begann erneut zu bröckeln. Wenn Amanda auf Lora aufmerksam würde – und das würde sie bestimmt –, wüsste ich nicht, wie ich ihr helfen sollte. Ich konnte mir ja nicht einmal selbst helfen.
Ich fuhr mir mit beiden Händen durch die Haare, streifte dabei über die Schrammen von heute Nacht.
Es war bereits Vormittag – Samstag, also keine Schule – und wie prophezeit hatte ich kein Auge zugetan. Aber ich war auch nicht müde. Ich könnte immer noch stundenlang durch die Stadt laufen und Energie abbauen. Aber was würde mir das jetzt bringen? Oder Lora?
Wenn ich Nick nicht überraschend auf der Straße begegnet wäre … Weiß der Teufel, was ich dann getan hätte!
„Jetzt beruhige dich doch erst mal!“, meinte Nick und legte mir eine Hand auf die Schulter.
Mir war gerade gar nicht nach beruhigen! Am liebsten hätte ich etwas oder jemanden grün und blau geschlagen.
Ich atmete ein paarmal tief durch.
„Wann ist das mit dem Blut passiert?“
Ich sah hoch. „Vor etwa zwei Wochen, als wir zusammengeprallt sind. Wir müssen uns irgendwie gestreift haben.“
Nick stutzte. „Wie lange hat es bei dir damals gedauert, bis du die ersten Auswirkungen des Blutsiegels bemerkt hast?“
Ich lehnte den Kopf an die vollgesprayte Tür zurück. Mit einem dumpfen Donk kam er dort an. Der Himmel war bloß von ein paar kleinen Wolken bedeckt, die aussahen wie Wattestückchen, die auf einen See hinausgetrieben waren.
„Nachdem das Tattoo fertig gestochen war, kippte ich um, und als ich wieder zu mir kam, hätten mich die ganzen verdammten Geräusche und anderen Sinneseindrücke fast umgebracht … Und ich spürte auch gleich diese Leere in mir. Es war fast wie …“ Ich suchte nach einer Beschreibung. „Wie bei einem Vampir, der gleich nach seiner Verwandlung sein erstes Menschenopfer fordert.“
„Seltsames Beispiel …“
„Fand nix Besseres.“
„Egal“, winkte er ab. „Jedenfalls hast du gleich gespürt, dass etwas mit dir nich’ stimmte, oder?“
Ich nickte, gespannt, auf was er hinauswollte.
„Dann spürt Lora doch sicher auch irgendwelche Veränderungen, oder nich’? Braucht sie dann auch diese gebrochenen Seelenteile?“
Meine Augen wurden weit. Wenn das stimmte, dann lief sie schon seit zwei Wochen ahnungslos in der Weltgeschichte herum. Mit verstärkten Sinnen und irren Reflexen.
Ich stand auf. „Wir müssen zu ihr!“, sagte ich und ging an Nick vorbei.
„Matt“, sagte er scharf und hielt mich am Arm zurück. „Du kannst nich’ einfach bei ihr vorbeischneien und sie über die Tatbestände aufklären.“
„Tatbestände? Wir sind nicht beim CSI …“
Er ließ mich los. „Ich meine nur … Wie hört es sich an, wenn plötzlich jemand vor deiner Tür steht und sagt, du hast sein Blut in dir? Als Beilage bekommst du noch die Fähigkeit, anderen die Seele zu rauben.“
„Vielleicht ist das alles ja gar nicht wahr. Also, vielleicht hat sie zwar mein Blut, aber sonst keine Anzeichen, die darauf hindeuten?“, meinte ich kleinlaut, wobei ich
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