Flucht ins Ungewisse
Schwitzkasten hatte, und drückte hinunter. Zeitgleich schlug ich mit dem Knie hoch, gegen den Oberarm. Der Knochen gab unter der Wucht meines Trittes nach und brach wie ein spröder Ast.
Der Mann jaulte auf. Ich ließ ihn los, worauf er sich am Boden zu wälzen begann.
„Aber ich brauche sie nicht!“, rief ich über das Geheul hinweg.
„Das war brutal …“ , meldete sich die Stimme wieder.
„Besser er als ich!“
Nach einem letzten Blick auf den Jammerhaufen zu meinen Füßen ließ ich den Mann allein zurück. Er würde weder an Blutverlust noch an den Schmerzen sterben.
Wieder draußen schob ich mein Bike die Straße entlang. Ich hatte keine Lust, zu fahren. Mir war schwindelig und ich musste irgendwo dagegen gelaufen sein, da mein Schienbein brannte, als hätte mir jemand eine Axt in den Knochen gejagt.
Solche Aktionen wie gerade eben waren nicht das, was ich unter entspannend verstand. Noch dazu, wenn man nicht wusste, ob man nicht in den nächsten paar Atemzügen draufging.
Vor einem hell erleuchteten Schaufenster blieb ich stehen. Der Raum, der größtenteils im Dunkeln lag, war kaum zu erkennen. Interessierte mich auch nicht sonderlich. Es war vielmehr mein Spiegelbild, das mich an ein Monstrum eines Horrorschinkens erinnerte …
Woher in Gottes Namen hatte ich nur die ganzen Schrammen? Und … Waren das Holzsplitter in meinen Haaren?
„Das kommt davon, weil du immer mit dem Schädel durch die Wand musst.“
„Du kannst es also wirklich sehen?“, fragte ich, als ich den Dreck abschüttelte. Es war mir vorhin schon aufgefallen. Ich hatte mich noch nie wirklich mit der Stimme unterhalten, da sie meistens viel zu schnell wieder verschwunden war. Aber wenn sie schon mal länger blieb, konnte ich doch auch mal sehen, was sie so von sich preisgab.
„Klar, ich seh alles, was du siehst! Du bist für mich so eine Art Sprachrohr.“
Sollte mich das jetzt beunruhigen? Und warum wunderte mich das nur halb so viel, wie es eigentlich sollte?
„Was kannst du sonst noch so?“, fragte ich weiter.
„’ne Menge.“
„Tolle Antwort! Gut, dann was anderes … Bist du eigentlich ’n Mensch? Ich meine, du könntest doch genauso gut eine Erfindung meiner kranken Fantasie sein.“
Ein leises Lachen erklang, das befremdlich durch meinen Kopf wanderte. „Nein, ich bin ein Mensch.“
Ich seufzte. Zumindest das war einmal geklärt.
Von meinem Tattoo ging völlig unerwartet ein erhitztes Pulsieren aus, das sich durch meinen ganzen Körper zog. Ich rammte meine Finger in die Haut an meinem Hals.
Als ob das den Schmerz lindern würde …
„Lora“, sagte ich gedankenverloren vor mich hin. Sie hatte gesehen, wie ich jemandem die Seele geraubt hatte. Ob sie nun noch schlechter über mich dachte, als ohnehin schon?
Sie denkt, dass ich jemanden umgebracht habe! Brauch ich noch mehr Erklärungen?
„Lora?“ , hallte die Stimme in meinem Kopf und riss mich aus meinen Gedanken. „Eine Freundin von dir?“
Eine Freundin? Ihre ausdrucksstarken Augen, die mich so faszinierten, ihr Versuch, heute stark zu sein, obwohl sie so zerbrechlich war. Allein schon die Tatsache, dass ich ununterbrochen an sie denken musste, würde diese Vermutung wahrscheinlich jedem nahelegen, aber … „Nein, sie ist nur … Ach, ich weiß auch nicht!“
Er lachte. Es war seltsam, eine lachende Stimme im Kopf zu haben. Fast so, als würde man durchdrehen. Oder als wäre man schizophren …
„Meiner Erfahrung nach sind Frauen für dich kein Umgang!“
Da ich nun wusste, dass er mich sehen konnte, starrte ich finster in das Schaufenster.
„Das war ein Scherz! Okay? Ein Scherz! Aber sie könnte doch genauso gut eine zweite Amanda sein.“
Ich schnippte gegen das Glas und sah, wie es für den Bruchteil einer Sekunde vibrierte.
„Nein … Sie ist anders!“
„Bist du dir sicher?“
Ich zögerte. Was redete ich da eigentlich? Ich kannte sie doch überhaupt nicht. Und trotzdem sagte ich: „Ja!“
„Hast du sie deshalb ausgewählt?“
2
Lorianna Ambers:
„Er lädt mich zu sich ein?“
Ich war immer noch ziemlich im Stand-by-Modus, als ich in meinem Zimmer vor dem PC saß. War das wirklich geschehen? Vielleicht war das, was ich bei anderen Menschen sah, so etwas wie ihr Leben. Hatte Matt dann das Leben des Mannes aufgesaugt?
Ich war eindeutig verwirrt und überfordert. Und dann war da noch dieses Gefühl von … Sehnsucht? Meine Hüfte, die Stelle, an der er mich berührt hatte, kribbelte. Als würde seine Hand immer
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