Flucht ins Ungewisse
erklärte er sachlich.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust. „Und warum sollte ich dir glauben? Oder vertrauen?“
„Weil ich verdammt noch mal nich’ weiß, was Amanda mit Lora vorhat und ich es nich’ riskieren will, dass ihr was geschieht!“
Ich bohrte meinen Blick in seinen. „Dafür ist es wohl etwas zu spät!“
Und dann kam mir das Bild ihrer aufgeplatzten Wange in den Sinn. Irgendetwas musste sie hart getroffen haben, sonst wäre die Haut um die offene Wunde nicht derart blau-grün-lila gesprenkelt gewesen. Am liebsten wäre ich noch mal auf Cass losgegangen und hätte ihm eine neue Visage verpasst. Vielleicht wäre Amanda ohne ihn nie auf Lora gekommen.
„Sie hat immer gedacht, ihr wärt Freunde!“, erklärte ich mit zusammengebissenen Zähnen.
„Das sind wir!“
„Ja, Freunde verraten sich immer gegenseitig!“ Ich wandte mich von ihm ab, wälzte alle möglichen Gedanken durch meinen Kopf. Ich kann es nicht riskieren … Ich hab sie in den ganzen Scheiß reingezogen! Ich wollte irgendwo meine Faust reinschlagen, bis es kaputt war. Aber ich hatte keine Zeit, an mich zu denken. Viele Möglichkeiten, was ich nun tun sollte, blieben nicht übrig. Auch wenn ich den Gedanken hasse!
Cass wartete still ab, bis ich etwas zögernd sprach: „Gut, führ mich zu ihr.“
„Da durch?“ Ich legte meinen Kopf weiter in den Nacken.
„Ja!“
„Du verarschst mich!“ Die Gitterstäbe des Belüftungsschachts zu brechen wäre mit Sicherheit kein Problem, wenn sie sich nicht etwa zwei Meter über mir befinden würden.
„Jetzt mach schon! Das ist der kürzeste Weg!“
„Der kürzeste …“, murrte ich. „Ich scheiß auf den kürzesten Weg! Wie soll ich da hochkommen?“
„Is’ mir egal, beeil dich!“
Beeil dich , äffte ich ihn in Gedanken nach und sah mich um. Außer ein paar alten Holzkisten und einem Müllcontainer gab es hier nichts. Widerstrebend, als mir ein Nasenhaar versengender Geruch in die Nase stieg, näherte ich mich dem etwa brusthohen Container. Vielleicht geht’s ja damit?
Ich hielt die Luft an, lehnte mich an die kühle Seite des aluminiumbeschichteten Kastens und versuchte ihn zu bewegen. Er war schwerer als gedacht, rührte sich nur babyschrittweise. Verdammt! fluchte ich und wandte mehr Kraft auf, um ihn schneller an sein Ziel zu rücken.
Als ich mit meinem Ergebnis einigermaßen zufrieden war und wie eine Kloake roch, kletterte ich auf den wackeligen Deckel, streckte mich. Zu meinem Glück war ich nun groß genug, um die Stäbe richtig greifen zu können. Zuerst probierte ich es nur leicht, rüttelte daran, versuchte herauszufinden, wie ich sie locker machen konnte. Aber so kam ich nicht weiter. Es klapperte lediglich etwas.
Schließlich stemmte ich einen Fuß gegen die Wand und zog mit aller Kraft an dem Gitter. „Nun mach schon“, knurrte ich mit zusammengebissenen Zähnen.
Mit einem eisernen Ächzen und einem unangenehmen Ruck gab der Verputz nach und das kleine Fenster wäre mir fast ins Gesicht gedonnert. Ich schleuderte es zur Seite, sodass es krachend am Boden landete. Beinah wäre ich rücklings von dem Container gefallen, doch ich konnte mich noch fangen.
Schnaubend begutachtete ich mein Werk. Etwas von der Wand war mitgegangen. Lange Risse zogen sich von dem Loch an der Außenmauer entlang.
„Ein Wunder, dass die Wand noch steht …“
Ich ignorierte den Kommentar.
Der Schacht war zwar breit genug für mich, aber wie sollte ich da reinkommen?
Ich tastete mich mit den Händen an den Rand des kühlen Blechs, versuchte mich daran hochzuziehen, scheiterte jedoch. Auch die beiden anderen Male schlugen fehl. Immer wieder fielen mir feine Stückchen der Wand entgegen, wenn ich abrutschte. Konzentriert suchte ich erneut Halt, atmete tief aus und stieß mich kraftvoll von dem wackeligen Deckel ab, hievte mich hoch. Die Spannung in meinen Armen war enorm. Ich dachte, dass die Muskeln jeden Moment reißen müssten. Mit einem knurrenden Laut wand ich mich irgendwie ein Stück weit in den Schacht, blieb dort erst einmal halb hängend liegen. Ich stützte mich auf die Unterarme und robbte weiter, bis ich vollständig in dem kleinen Tunnel lag.
„Gut, du hast es geschafft.“
„Danke für die Info …“
Das kühle Blech unter mir beruhigte mich etwas, doch schon nach wenigen Atemzügen wurde es immer kälter. Mein Shirt fühlte sich an wie eine dünne Eisschicht. Vielleicht hätte ich die Jacke doch anbehalten sollen … Nein, die hätte nur
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