Flucht ins Ungewisse
den Jungen denken. Seine Augen …
Aber auch etwas anderes brachte ich jeden Tag aufs Neue mit ihm in Verbindung. Heute Morgen hatte ich versucht, es mit Make-up zu verdecken. Ich hatte den Kopf hin- und hergedreht, mich von allen Seiten begutachtet, aber seit ich es das erste Mal gesehen hatte, war es nicht mehr verschwunden. Ich schimmerte! Hieß das vielleicht, dass ich jetzt heilig geworden war? Zuerst schob ich es auf das Fieber, dann auf meine blühende Fantasie, aber es war nicht zu leugnen, dass es weder mit dem einen noch mit dem anderen zu tun hatte. Jedoch war ich mittlerweile auch sicher, dass andere es nicht sehen konnten. Denn weder Dad noch Margret hatten mich darauf angesprochen, dass ich wie Edward aus Twilight glitzerte. Und ich war davon überzeugt, wenn ich es einfach ignorieren würde, würde es schon wieder von allein weggehen. Ganz bestimmt! Es muss so sein!
Die Balkery High bestand aus drei Gebäuden, die zu einer Art U geformt waren. Alle alt gehaltenen Gebäude hatten eine ziemlich bröckelige Fassade und ein spitzes Ziegeldach. Eines davon war die Sporthalle und etwas kleiner. Das mittlere Gebäude ragte etwa vier Stockwerke in die Höhe und mir graute bereits jetzt davor, diese Stufen da erklimmen zu müssen. Das dritte erinnerte an eine alte Lagerhalle. Und sie bewies mir, dass es hier auch Sprayer geben musste. Natürlich kamen diese nur nachts raus, wenn ich nicht mehr hier sein würde. Denn Schule und Nacht, das hatte zu sehr was von einem Horrorfilm.
Auf dem Platz vor der Sporthalle tummelten sich bereits die ganzen Sportfreaks. Sie alle wirkten nach außen hin zu perfekt. Ich hasste sie, sie hassten mich. So konnte jeder in trauter Einsamkeit leben.
Einer mit kurzen blonden Haaren wedelte mit einem Arm in der Luft, worauf eine dürre Gestalt zu ihm aufschloss. Sie hatte blonde lange Haare, trug aber kein Cheerleader-Kostüm, was ich schon fast seltsam fand. Sie küssten sich kurz, und gerade als ich weitergehen wollte, spürte ich etwas wie einen sanften Sog. Etwas, das mich zwang, stehen zu bleiben und abzuwarten. Worauf, das wusste ich nicht. Mein Herz beschleunigte seinen Takt wie ein Drummer, der mitten im Song auf einmal so richtig abging.
Dann sah ich ihn. Er gesellte sich zu dem Pärchen. Nach kurzen Worten, die sie wechselten, lehnte er sich an die Wand der Sporthalle und beobachtete die Sportler, die sich angeregt Bälle zuwarfen. Geschickt wich er einem Ball aus, der anstatt gegen seinen Kopf gegen die Sporthalle knallte. Mit einer schnellen Kopfbewegung warf er sich die schwarzen Haare aus dem Gesicht.
Ich starrte ihn verwundert an. Meine Augen wurden beinahe schon magisch von seiner Ausstrahlung angezogen. Er sah noch genauso aus wie vor einer Woche. Schlank und doch durchtrainiert. Aber er machte nicht den Eindruck, als hätte er gegen einen von den Muskelpaketen um ihn eine Chance gehabt, wenn es zu einer Auseinandersetzung gekommen wäre. Durch die Piercings in seinem Gesicht wirkte er etwas gefährlich, was ihn jedoch nicht weniger attraktiv erscheinen ließ.
Es war eindeutig der Junge, der mich damals über den Haufen gerannt hatte. Er ging also auch hier zur Schule. Aber er schien nicht so recht zu den Sportfreaks zu gehören. Dafür war seine Kleidung zu unpassend dunkel und seine Haare etwas zu lang. Die anderen sahen alle wie reiche verwöhnte Muttersöhnchen aus, er hingegen wirkte wie … Na ja, als hätte er schon so manche Nächte auf der Straße verbracht. Außerdem sah er erschöpft und müde aus. Aber welcher Schüler ist das an einem Montagmorgen nicht?
Jemand rempelte mich an der Schulter an und murmelte etwas wie „Steh hier nicht blöd rum!“ Ich ignorierte den Idioten, warf noch einen letzten Blick auf den Jungen. Dann schluckte ich schwer und zwang mich dazu, weiterzugehen. Auch wenn es mir einen eigenartigen Stich von Schwermut versetzte.
Ich wusste bereits nach den ersten Sekunden im Schulgebäude, dass ich auch hier das Leben eines Außenseiters genießen würde. Man konnte sagen, ich hatte hier zu allem die konträre Grundhaltung. Musik, Glaube (falls sie so etwas überhaupt hatten), Kleidung, Stil und sogar das Essen waren hier anders. Ich konnte nicht behaupten hierher zu gehören. Ich wollte es gar nicht.
Und ich hatte auch die ganze Zeit über das Gefühl, beobachtet zu werden. Und damit meinte ich nicht die gierenden Augen, die mich unerlässlich anstarrten, weil ich die Neue war. Es war irgendwie seltsam … angenehm. Vielleicht
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