Pink Christmas (German Edition)
Florian Höltgen
Weihnachtsfieber
Henri sieht richtig maulig aus. Irgendwie lustig, weil er sich doch sonst als konservativer Bänker immer gut unter Kontrolle hat. Jetzt würgt er den Wagen ab, nachdem er ihn mühsam zwischen zwei gigantische Schneehaufen mehr schlecht als recht eingeparkt hat. Seine Miene verdüstert sich noch mehr.
„Was ist?“, frage ich und lege behutsam meine Hand auf sein Knie.
„Schnee ist“, antwortet er gereizt.
Ich kann ein Grinsen nicht unterdrücken. „Ach, wär mir jetzt gar nicht aufgefallen, wenn du das Unwetter nicht beispiellos auf deinem Gesicht wiedergeben würdest ...“
Henri beißt die Zähne zusammen. Ist ja auch gemein von mir, ihn jetzt auch noch auf den Arm zu nehmen. Entschlossen will er den Wagen wieder starten, aber ich halte ihn zurück.
„Wir stehen gut.“
„Wir stehen scheiße!“ Er will wieder den Zündschlüssel drehen.
„Lass das!“, sage ich bestimmt und schlage seine Hand weg. „Ich habe keine Lust, jetzt noch zwei Stunden im Schnee hin und her zu fahren, bis du endlich erschöpft bist und der Wagen im Grunde genauso steht wie jetzt.“
Henri funkelt mich böse an. „Was ist ...“
„Nix ist! Heiligabend ist, da wird wohl keiner in die Karpaten fahren, um sich für einen Strafzettel zu deinem Auto durchzugraben. Guck mal, wie die anderen stehen!“
Jetzt funkelt Henri die parkenden Autos böse an, von denen ein paar sogar noch weiter auf der Straße stehen, weil der Räumdienst die eigentlichen Parkplätze als Schneeablage missbraucht hat.
„Du bist nervös“, sage ich und streichle über sein Bein. „Lass uns lieber noch ein wenig hier sitzen und die Ruhe genießen.“
„Ich bin nicht nervös.“ Dann räuspert er sich. „Wenn wir aber noch lange hier draußen sitzen, wird es schnell kalt.“
„Das ist der Plan.“
„Hä? Was für ein Plan?“
„Schau mal, wenn wir es hier vor Kälte nicht mehr aushalten, dann ist genau der richtige Zeitpunkt, endlich hochzugehen. Dann gibt es wenigstens etwas , worüber wir uns freuen können.“
„Du machst mir echt Mut. So schlimm sind sie doch auch nicht, oder?“
„Vielleicht für dich nicht. Bei dir werden sie sich wohl Mühe geben. Aber du darfst nicht vergessen: Es ist Weihnachten!“ Jetzt sehe ich bestimmt genauso maulig aus, wie Henri noch vor wenigen Augenblicken. Weihnachten! Das Fest der scheiß Verpflichtungen. Aber immerhin, dieses Jahr bin ich zum ersten Mal nicht allein. Und auch, wenn ich alles andere als begeistert bin, dass ich gleich meiner Mutter und ihrem Oliver den lang vorenthaltenen Freund vorstellen muss, nach gut einem halben Jahr haben sie vielleicht ja wirklich irgendwie ein Recht darauf. Erst recht, wenn meine Mutter es sich zu Weihnachten wünscht !
„Was ist?“, fragt Henri.
„Nichts“, sage ich schnell.
„Warum seufzt du?“
„Ich hab nicht geseufzt!“
„Stimmt, es war eher ein Stöhnen.“
„Ich hab auch nicht gestöhnt!“
„Nein, nicht das angenehme Stöhnen“, sagt Henri und grinst anzüglich. „Ich meine das genervte ...“
„Ich hab auch nicht genervt gestöhnt“, gebe ich zurück, muss aber grinsen, weil mich Henri wieder mal ertappt hat. Er bekommt wirklich alles mit, auch Sachen, die ich selbst nicht mal bemerke.
„Du grinst“, sagt Henri auch gleich und nickt triumphierend.
„Na schön, hast gewonnen. Und jetzt?“
„Jetzt sagst du mir, was so schrecklich ist.“
„Die Frage kann ich auch gleich zurückgeben.“
„Familiengeschichten sind halt anstrengend, erst recht zu Weihnachten. Ein normales Treffen wäre da sicher ...“
„Ja-ja!“, unterbreche ich ihn. „Ich weiß, ich hätte dich schon längst mitnehmen sollen, aber, Überraschung: Ich steh auch nicht auf diese Familiengeschichten.“ Ich schnaube verächtlich. „Und ich meine es damit wirklich ernst !“
„Was soll das denn heißen?“, fragt Henri perplex.
„Dass ich dir dein Getue nicht abnehme. Ich glaube, dass du dir im Grunde eine ganz normale Familie wünscht, mit allem Drum-herum und Tri-tra-trullala ...“
Jetzt lacht Henri tatsächlich. Ich sehe ihn irritiert an.
„ Trullala ? Also das ...“ Er bricht wieder in Gelächter aus.
„Hallo?“, versuche ich ihn einigermaßen böse zur Räson zu rufen.
„ Trullala ...“, lacht er weiter. „Was – was heißt das, bitte?“
Ich kann nicht verhindern, dass meine Mundwinkel sich langsam nach oben ziehen. Verdammt, der Kerl schafft mich. Henri stammt aus Frankreich und immer, wenn
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