Fluegelschlag
Juna ein modischerer Typ gewesen, hätte sie die lästige Mähne längst in Form bringen lassen, doch stattdessen kaufte sie immer mehr Haargummis und band sie einfach zusammen.
Wenn ihr doch mal jemand nachschaute, sah sie meistens weg. Sie war dankbar, dass Iris sie nie dazu ermunterte, mit irgendwelchen Männern zu flirten oder zu tanzen, wenn sie am Wochenende gelegentlich gemeinsam ausgingen. Obwohl sie selbst, davon war Juna überzeugt, an anderen Abenden durchaus nicht abgeneigt war, die Bekanntschaft mit dem anderen Geschlecht zu vertiefen.
»Du kümmerst dich um streunende Katzen, ich übernehme
die Kater!«, war ihre Antwort, als sich Juna einmal scherzhaft darüber beklagt hatte.
Dass Iris zwischendurch immer wieder für ein paar Tage oder länger verschwand, wurde von niemandem kommentiert.
»Hier, nimm!« Iris’ Stimme und die viel zu heiße Teetasse, die sie ihr in die Hand drückte, holten Juna aus ihrer Erinnerung zurück. Sie bemühte sich, so natürlich wie möglich zu wirken und nicht immer wieder zur Tür zu sehen, hinter der ihr Patient jetzt hoffentlich schlief. Es fiel ihr nicht einmal besonders schwer, denn wer wie sie ein Leben lang Geheimnisse mit sich herumtrug, hatte auch gelernt, diese zu bewahren.
So schnell es eben ging trank sie den Tee aus, streckte sich und gähnte. »Diese erste Woche haben wir ganz gut überstanden, findest du nicht auch?«
»Stimmt. Jetzt sind es nur noch … Was hat der Chef dir gesagt, wie lange er wegbleiben wollte?«
Juna lachte. »Nichts hat er mir gesagt. Du kennst ihn doch.«
»Lässt uns hier einfach sitzen, mit all den Verrückten. Und fährt nach Kanada, um Bären zu jagen.«
»Das würde er nie tun!« Es dauerte einen Augenblick, bis Juna das Zwinkern in Iris’ Augen sah. Sie entspannte sich. »Er besucht einen alten Studienfreund, und ich möchte wetten, dass er auch die Bären eher verarzten würde, als auf sie zu schießen.«
»Pass mal auf, er will dich nur testen. Wenn du deine Sache gut machst, dann erbst du den Laden bestimmt eines Tages.«
Juna legte Iris eine Hand auf die Schulter. »Uns will er testen, nicht nur mich. Aber wir sind ja ein gutes Team.«
»Stimmt. Und darum gehen wir jetzt auch besser ins Bett, sonst sind wir morgen zu spät, und der Zerberus aus der Hamilton Road kriegt einen Herzschlag.«
Als sie an die Leiterin des Tierheims dachte, lächelte Juna. Zerberus klang nicht nett, aber bei ihr passte der Name. »Das wollen wir auf keinen Fall riskieren! Hast du die Tasche gepackt?«
Die Tierärzte aus der Umgebung wechselten sich damit ab, die unglücklichen Bewohner einer nahe gelegenen Auffangstation für Hunde zu versorgen, und an diesem Wochenende war die MacDonnell-Praxis an der Reihe.
»Gehen wir hinterher frühstücken?« Iris’ Augen leuchteten, und Juna hatte nicht das Herz, sie zu enttäuschen.
Jetzt wäre eine gute Gelegenheit gewesen, der Freundin von ihrem merkwürdigen Hausgast zu berichten, aber Juna wäre es wie Verrat vorgekommen. »Wenn es nicht zu lange dauert. Du weißt, am Nachmittag habe ich Notdienst.«
»Mist!«
»Was?«
»Das habe ich total vergessen. Ich habe Jamie versprochen, die Kids zu hüten.«
»Dann wirst du das wohl auch tun müssen.« Juna beneidete Iris keineswegs um die Aufgabe. Jamie hatte sechs Geschwister, auf die er aufpassen musste, wenn seine Mutter Wochenenddienst hatte. Und er war mit seinen zwölf Jahren selbst noch ein Kind.
»Danke!« Iris lächelte und griff nach den leeren Tassen.
»Lass mal, ich mach das schon.« Juna nahm sie ihr aus der
Hand. Iris kochte gern und gut, aber diesen Teil der Hausarbeit hasste sie.
»Du bist ein Schatz. Bis morgen!« Sie ging zur Tür, drehte sich aber noch einmal um. »In der Praxis brennt übrigens Licht. Da sitzt doch hoffentlich nicht noch jemand und wartet auf deine Zuwendung?«
Lachend lief sie hinaus, als Juna ihr mit einem Kochlöffel drohte, um ihre Verlegenheit zu überspielen. Finn, der unter dem Küchentisch leise geschnarcht hatte, sprang auf und rannte hinter Iris her. Die Tür klappte zu, und Juna blieb mit ihrem beunruhigenden Gast allein im Haus zurück. Durch das Küchenfenster konnte sie im Schein der Laterne sehen, wie Iris und der Hund in dem kleinen Gartenhaus verschwanden, in das sie inzwischen gezogen waren. Letzten Sommer hatten sie es gemeinsam renoviert, und nachdem Gerümpel und Staub erst einmal verschwunden waren, erstaunt festgestellt, dass es sogar einen funktionierenden Ofen, ein
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