Fluegelschlag
winziges Bad mit Dusche und eine Küchenzeile gab. Als drüben ein Licht anging, räumte Juna lächelnd den Tisch ab, stellte das Geschirr ins Spülbecken und drehte den Wasserhahn auf.
2
A rian verfolgte das Gespräch der beiden Frauen. Zunächst wartete er besorgt, ob Juna seine Anwesenheit erwähnen würde, und war erleichtert, als sie kein Wort darüber verlor. Seine Fragen aber blieben dabei unbeantwortet. Hatte Juna die Tür absichtlich angelehnt, um ihm auf diese Weise zu signalisieren: Sieh her, ich habe nichts zu verbergen! Etwas Wissendes hatte in ihrem Blick gelegen, während sie ihn unverhohlen gemustert hatte - als wäre sie und nicht er unsichtbar. Angst hatte er bei ihr nicht bemerkt. Gewiss, anfangs hatte sie unentschlossen gewirkt, überrascht. Sobald sie aber seine Verletzung bemerkt hatte, war alle Unsicherheit verschwunden, und sie war zielstrebig und sehr sachlich vorgegangen. Nur eben überhaupt nicht typisch für jemanden, der noch kurz zuvor einem vermeintlichen Einbrecher mit nicht mehr als einem alten Besen bewaffnet gegenübergestanden hatte.
Nach seinem Sturz war nichts mehr so wie zuvor. Äußerlich war er zwar der Gleiche geblieben, aber in seinem Inneren brannte ein Schmerz, der ihm fremd war. Natürlich bestand die Möglichkeit, dass Nephthys ihn zur Strafe für seine Unvollkommenheit degradiert hatte. Fast hätte er laut gelacht. Womöglich zu einem Schutzengel! Bereits der Gedanke ließ ihn schaudern. Eine solche Idee würde ihr ähnlich sehen - sie hatte sich ihm gegenüber stets milder gezeigt
als bei allen anderen ihrer Wächter, und dennoch meist eine Bestrafung gefunden, die nur auf den ersten Blick harmlos wirkte. Doch in diesem Fall hätte sie gewiss nicht die Entführungen erwähnt. Im Gegenteil, seine Chefin galt als äußerst verschwiegen. Hinter vorgehaltener Hand sagte man ihr allerdings nach, sie liebe es, das Schicksal zu manipulieren. Ein schwerwiegender Vorwurf, wenn man bedachte, dass nur einige Wenige das Recht und die Weitsicht zu diesem riskanten Eingriff in den Lauf der Welt besaßen. Alles hing miteinander zusammen, und wenn das feine Gespinst, das den Kosmos zusammenhielt, nur minimal verändert wurde, konnte dies unabsehbare Folgen haben. Arian traute ihr jedoch zu, über den erforderlichen Weitblick zu verfügen. Tatsächlich wusste aber auch er nicht, welche Macht sie wirklich besaß. Und obwohl er annahm, dass sie ihn und seine Arbeit im Laufe der Zeit zu schätzen gelernt hatte, zweifelte er keinen Augenblick daran, dass sie nicht zögern würde, ihn eiskalt als Köder zu verwenden, auch wenn dies sein Ende bedeuten würde. Als er genauer darüber nachdachte, erschien ihm dies sogar sehr wahrscheinlich - schließlich hatte er ihr lange sein größtes Geheimnis verschwiegen. Nephthys ließ sich nicht täuschen. Wer es versuchte, wurde hart bestraft. Nicht nur, weil sie absoluten Gehorsam verlangte, sondern auch, weil niemand eigene Wege beschritt, ohne wenigstens eine Spur Emotionen in sich zu haben. Etwas, das seinesgleichen nicht erlaubt war. Wie aber war sie dahintergekommen, dass er Gefühle nicht nur sehen konnte, sondern selbst besaß?
Arian hätte gern gewusst, wer ihn verraten hatte. War es Gabriel gewesen, der vor ihm aufgeflogen und aus Elysium verbannt worden war? Äonen lang hatten sie Seite an Seite
gearbeitet und sich immer aufeinander verlassen können. Natürlich blieb es bei einer solchen Nähe nicht aus, dass man Einblick in die Geheimnisse des anderen gewann. Sie hatten nie darüber gesprochen, denn schon dies hätte sie verraten können, aber Arian war sicher, dass auch Gabriel mehr Herz besaß, als es einem Wächter zustand. Leicht hätte jemand ihren Einklang im Kampf, ihre Fähigkeit, ohne viel Worte zu wissen, was der andere als Nächstes tun würde, als das erkennen können, was es war: Freundschaft. War womöglich der Gerechte , den sie in ihrem letzten gemeinsamen Auftrag vor einem Dämon gerettet hatten, der Verräter gewesen? Wenn man bei irgendwelchen Engeln sicher sein konnte, dass sie sich ohne Wenn und Aber an einmal gesetzte Regeln hielten, so unsinnig diese auch sein mochten, dann waren es die Gerechten. Es hieß, dass sie ihre Kämpfer unvorstellbaren Qualen unterzogen, um sicherzugehen, dass nicht der Funken eines Gefühls in ihnen zu finden war. Doch um die Lösung dieses Rätsels würde er sich später kümmern.
Nephthys tat nie etwas ohne Hintergedanken. Ganz sicher gab es einen Grund dafür, dass er in Junas
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