Fluesterndes Gold
die Augen und schaue mich nach einer Waffe um. Der Schürhaken liegt zu weit von mir entfernt. Dann ist da noch die Lampe. Aber kann ich mit einer Hand wirklich etwas ausrichten? Ich muss ihn nur nach draußen bekommen.
Er kommt näher, und seine Stimme klingt ganz sanft: »Warum kommst du nicht mit mir mit? Ich tu dir nichts.«
»Wohin mitkommen?«
»In mein Haus.«
»Du hast ein Haus?«
»Na klar.«
»Ist das ein magisches Feenhaus mit Lebkuchenwänden und einem Dach aus Zucker? Vielleicht schwirrt sogar Tinker Bell darin herum und gewährt mir drei Wünsche?«
Er lächelt. »Nein, es ist ein großes Haus im Wald, das von einem Zauber umgeben ist. Niemand stört uns dort.«
»Zauber verbergen eure Existenz.«
»Du hast dich informiert.«
»Ein bisschen.«
»Dann kommt mit mir.«
»Warum? Um meine Mom zu einer Rettungsaktion zu zwingen?« – »Wäre das so schlimm?«
»Ja.«
»Zara.« Er seufzt. Draußen heult der Wind. »Wie kann ich dir das verständlich machen? Ich brauche deine Mom. Wenn ich sie nicht bekomme, dann sterben noch mehr Jungen.«
»Das ist lächerlich.«
»Nein, das ist so, wie es ist.«
Ich denke eine Sekunde lang nach. »Wenn das wahr ist, warum hat Ian dann versucht, mich zu verwandeln?«
Er verliert die Fassung. Seine Miene wird sorgenvoll, fast menschlich. »Hat er dich geküsst?«
»Beinahe. Betty hat ihn rechtzeitig getötet.«
Er lächelt fast, dann fährt er sich mit der Hand durch die Haare. »Betty ist gefährlich.«
»Hältst du dich deshalb fern, wenn sie da ist?«
»Nicht einmal ein Elf will sich mit einem Tiger anlegen.«
Er bläst das glühende Holzstückchen in seiner Hand an, und es zerfällt zu Asche.
»Du machst den Eindruck, als könntest du mit allem fertig werden«, sage ich.
»Du meinst das hier?« Er grinst. »Billiger Trick.«
Wir sehen uns an
»Ian wollte dich verwandeln, weil er gewusst hat, dass du eine mächtige Königin sein würdest. Eine Königin mit meinem Blut hätte ihn zum König gemacht. Ian wollte dich verwandeln, weil er gedacht hat, ich würde dich als meine Königin nehmen.«
»Das ist ja widerwärtig.« Ich lege den Gipsarm in meinen Schoß. Er ist schwer.
»Da stimme ich mit dir überein.«
»Gibt es viele solche rebellierende Elfen wie Ian und Megan?«
Er nickt. »Jetzt, da ich schwach bin, zu viele. Sie spüren es. Sie kommen von überallher, um mich zu beherrschen und mein Territorium zu beanspruchen. Wir sind kein besonders friedfertiges Volk.«
»Das ist nicht zu übersehen.«
»Du hast die Wahl, Zara.« Er bewegt seine schlanke Gestalt und setzt sich neben mich auf die Couch. Dann legt er seine Hand auf meine gesunde Hand. Sie ist noch heiß, sehr heiß, vom Feuer, aber sie fühlt sich gut an, verglichen mit der Kälte von Maine oder der Kälte, die ich in mir spüre. »Entweder gehen wir zurück zu meinem Haus, wo ich deine Fragen beantworte, und warten dort auf deine Mutter. Oder wir warten hier, dass der Wolf-Junge auftaucht. Eine der beiden Möglichkeiten ist keine gute Idee.«
»Warum?«, frage ich, obwohl ich es eigentlich gar nicht will.
»Weil ich diese Gier in mir spüre. Und dein Wolf sieht sehr appetitlich aus.«
Kinetophobie oder Kinesophobie
Die Angst vor Bewegung
Ich willige ein, mit ihm zu gehen. Er lächelt triumphierend, als ob er gewusst hätte, dass er gewinnen würde.
»Das freut mich sehr«, sagt er wie ein echter Gentleman, als hätte er nicht gerade Nick bedroht. Er geleitet mich aus dem Haus hinaus. Ich schüttle seinen Arm ab, aber er lacht amüsiert. »Ich tu dir nichts, Zara.«
»Klar. Solange ich kooperiere, tust du mir nichts«, sage ich, als er die Tür öffnet. Kalte Luft schlägt uns entgegen. Er hilft mir in den Mantel. Wegen des Gipses kann ich nur in einen Ärmel schlüpfen. Ich schaue hinaus in das Nichts von Schnee und Wald und suche nach Hinweisen auf Betty oder Nick. »Nehmen wir den Subaru?«
»Nein. Wir gehen zu Fuß.«
Das ist in meinem Plan nicht vorgesehen. Genau hier stehen zu bleiben ist mein Plan.
»Eigentlich sollte ich nicht rennen«, versuche ich es. »Wegen dem Arm und so.«
»Das mit deinem Arm tut mir leid.«
»Wirklich?«
Er nimmt mich hoch, als würde ich nichts wiegen, zieht mich an seine Brust und trägt mich, wie der Bräutigam seine Braut über die Schwelle tragen soll. Da er jetzt fern vom Feuer ist, fühlt er sich kalt an. Er riecht nach Pilzen. »Hast du Höhenangst?«
Er drückt meinen gesunden Arm an sich und berührt meinen Gipsarm nicht
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