Fluesterndes Gold
setzt sich zu mir auf die Couch. »Ach komm. Wir haben nur ungefähr zweihundert Fehler gemacht. Aber jetzt bist du am Drücker. Ich glaube, jetzt kann sich alles zum Guten wenden.«
Sie boxt mich aufmunternd in die Seite, dann gibt sie der Großmutter in sich nach und nimmt mich fest in den Arm. Sie riecht nach Wald und Holzfeuer. Sie riecht nach Sicherheit. Ich lasse mich fallen und weine.
»Glaubst du, er hasst mich jetzt für immer?«
»Er ist ein Narr, wenn er das tut.«
Ich schniefe. »Das nutzt mir nichts.«
»Du hättest deinen Dad sehen sollen, als er das mit deiner Mutter erfahren hat«, sagt sie. »Er ist total ausgerastet.«
»Und warum?«
»Warum was?«
»Warum hat sie es getan?«
»Sie wollte die Jungen retten.«
»Hä?«
»Deine Mom ist ein bisschen wie Nick. Sie hat einen Heldenkomplex. Sie verbirgt ihn nur besser. Weißt du, was Nick ursprünglich gegen die Elfen aufgebracht hat? Auch als er noch gar nichts Genaues über sie wusste?«
Ich antworte nicht.
»Devyn war draußen im Wald beim Geländelauf, als ein Pfeil ihn direkt in die Wirbelsäule traf. Er schrie auf und fiel hin. Der Pfeil hat genauso getroffen, dass er eine Querschnittslähmung verursacht hat. Nick hörte Devyns Schreie und rannte zu ihm hin. Er trug ihn zur Straße, aber die beiden hatten keine Ahnung, wer dahinterstecken könnte. Erst als du hierher gekommen bist und den König von der Cafeteria aus gesehen hast, reimten sie sich alles zusammen.«
»Oh mein Gott. Was hat die Polizei gemacht?«
»Man ging davon aus, dass es ein Jäger war, der einen Kojoten schießen wollte. Nicks Spuren wurden gefunden, aber Elfen hinterlassen keine Fußspuren.«
»Aha.« Ich schlucke schwer. »Das ist so verrückt. Das ist alles so vollkommen verrückt.«
»Jedenfalls brachte ihm das zu Bewusstsein, dass hier etwas vor sich ging. Auf einmal wollte er der große Held sein, der die Welt rettet. Er war immer draußen auf Patrouille, in jeder Mittagspause, in jeder Freistunde, bei jedem Geländelauftraining. Dass noch zwei Jungen entführt wurden … das bringt ihn fast um.«
Ich nicke. »Aber was ist mit meiner Mom?«
»Die Gier des Königs kann nur durch seine Königin gestillt werden. Jetzt war er schon zu lange ohne sie. Die Begierde ergreift wieder Besitz von ihm.«
Das Feuer knistert. Wir zucken beide zusammen. Das ist im Plan eigentlich nicht vorgesehen.
»Dann hat sie also mit ihm geschlafen, damit er aufhört, Jungen zu entführen.«
Betty drückt ihren Arm ein bisschen fester um meine Schultern. »Jep.«
»Oh Gott. Dann bin ich im Grund das Kind einer Vergewaltigung?«
»Sie hat zugestimmt. Sie war einverstanden.«
»Weil sie musste!«
»Sie hat sich dafür entschieden, die Jungen zu retten, Zara. Das war mutig. Vielleicht dumm, aber mutig.«
»Aber jetzt beginnt alles wieder von vorn.«
»Die Begierde regt sich wieder.«
Ich denke nach. »Wann kommt sie hier an?«
»Heute Abend. Gegen sieben wahrscheinlich.«
»Und er will sie wieder haben, weil er sie verwandeln muss, damit er wieder mächtig ist.« Das ist keine Frage, ich versuche nur, die Wahrheit in mein Hirn zu bekommen und alles zu verstehen.
Sie antwortet nicht, sondern steht auf und sagt: »Ich schau mal, was wir zum Abendessen machen könnten.«
Ich drehe langsam den Kopf. »Brauchst du Hilfe?«
»Nö, bleib, wo du bist und verdau das alles erst mal. Du hast eine Menge, worüber du nachdenken kannst.«
Es ist Zeit, den Plan umzusetzen. Ich spreche meinen Text ganz langsam. Es ist der Text, den wir im Krankenhaus geplant haben. »Ich glaube, es wäre gut, wenn du bald einen Anruf bekommen würdest, oder?«
Sie schaut zu mir zurück. Wir reden, als wäre das Haus verwanzt. Keiner uns weiß genau, wie gut Elfen hören, aber wir gehen kein Risiko ein.
»Bleibst du dabei, dass ich fahren sollte, wenn ich gerufen werde?«, fragt sie. Dann senkt sie die Stimme. »Ich weiß nicht so recht, ob wir dich einfach hierlassen können, wenn Nick nicht in der Nähe ist?«
Was sie sagen will, ist: Funktioniert der Plan auch ohne Nick?«
»Ja«, sage ich. »Klar kannst du das. Mir geht’s gut. Alles wird gut.«
»Ich hätte ein besseres Gefühl, wenn er da wäre.« Sie schlurft zu mir herüber und küsst mich auf den Kopf. »Es ist schön, meine Enkelin wiederzuhaben.«
»Es ist schön, wieder hier zu sein«, sage ich, weil es so ist.
Ich sitze also hier. Ich sitze und sitze und sitze, aber ich denke überhaupt nicht über unseren Plan nach oder darüber,
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