Flugrausch
eines einzigen Telefonanrufs.
Jeder normale Durchschnittsmensch wäre vielleicht nicht um sieben Uhr früh am Karfreitag ans Telefon gegangen. Aber Challis war Inspector bei der Homicide Squad und ging immer ans Telefon. Also bekam er zu hören, wie seine Frau, die im Gefängnis ihre Telefonkarte benutzte, ankündigte, sie wolle sich das Leben nehmen.
Ihr Mut sank immer zu den Feiertagen. Ihr Mut befand sich im Fall.
Challis war zwanzig Minuten lang am Telefon geblieben und hatte sie reden lassen, damit sich ihre Depression wieder löste. Aber dann war es doch geschehen. Er lag gerade mit Tessa im Bett, als der Anruf kam, und eine Stunde später – als die Stimmung zur Liebe verflogen war und er sich gerade mit Tessa darauf vorbereitete, zu einer zweitägigen Wanderung entlang den Stränden der Halbinsel aufzubrechen – riefen Challis’ Schwiegereltern an und teilten ihm mit, ihre Tochter habe die Telefonkarte durchgebrochen und versucht, sich damit die Pulsadern aufzutrennen, und läge nun im Gefängniskrankenhaus. Sie schwebe nicht mehr in Lebensgefahr, doch Challis’ Anwesenheit würde ihr vielleicht gut tun, und ob er wohl … falls er nicht gerade anderweitig …
Challis hatte eingewilligt.
»Es ist an der Zeit loszulassen, Hal«, hatte Tessa gesagt, ihm dann mitgeteilt, dass sie allein losmarschieren würde, und war losgefahren.
Als Challis am Nachmittag von dem Besuch bei seiner Frau zurückgekehrt war, hätte er sich beinahe doch noch auf den Weg gemacht.
Vielleicht hätte er das wirklich tun sollen. Er war nicht besonders gut darin, solche Dinge einzuschätzen, aber im Nachhinein fand er, dass das wohl besser gewesen wäre als jetzt, einen Tag danach, wo das alles in Tessa weitergegärt und sie in Gedanken und im Herzen nur noch mehr gegen ihn aufgebracht hatte.
Völlig verunsichert machte er plötzlich kehrt und ging zurück zu seinem Wagen.
Fast 18 Uhr … Auf der Heimfahrt hörte er Nachrichten. Zwei Asylbewerber waren aus dem neuen Internierungslager in der Nähe von Waterloo ausgebrochen. Challis schüttelte den Kopf, als er sich den Ärger vorstellte, die Streitereien, die Mehrarbeit für Ellen Destry und ihre Detectives im CIB.
2
Ellen Destry wäre Ostersamstagabend lieber daheim geblieben, doch sie war Detective Sergeant auf dem Revier in Waterloo, und sie konnte den Hunger spüren, der in Dwayne Venn aufstieg.
Venn fuhr gern zu drei, vier der beliebten lauschigen Knutschplätze auf der Halbinsel, parkte im Dickicht der Bäume neben der Straße und griff dann die Pärchen in ihren Autos an. Im wässrig grünen Licht der Nachtsichtferngläser sah er genauso aus wie so ein herumschleichender Irrer in einem Slasherfilm aus Hollywood, doch bei den beiden letzten Malen, als das CIB ihm auf den Fersen blieb, hatte er nur zugeschaut. Bisher hatte er noch nicht mal seinen kleinen Kumpel zum Spielen hervorgeholt.
Ellen zweifelte langsam am Wahrheitsgehalt von Pam Murphys Information. »Vielleicht hat Ihr Informant uns nur einen Voyeur geliefert, keinen Vergewaltiger«, hatte sie letzte Woche zu der jungen uniformierten Polizistin gesagt, nachdem sie wieder mal drei Stunden in der Dunkelheit auf der Lauer gelegen hatten.
Aber Venn war ein übler Bursche, und im Spätsommer hatte es bereits zwei Vergewaltigungen mit Messern gegeben, die auf unkontrollierte Gewalt hindeuteten. Und nun begann Tessa Kane, Challis’ Zeitungsfreundin, in ihrem Blatt Fragen zu stellen, also würde Ellen diesen Burschen so lange unter Beobachtung halten, wie es das Budget erlaubte. Senior Sergeant Kellock hatte sich am Nachmittag die Zahlen einmal ein bisschen genauer angeschaut und ihr gesagt: »Zwei Constables, Murphy und Tankard, mehr kann ich nicht abstellen, jetzt, wo diese Fanatiker aus dem Internierungslager ausgebrochen sind.«
Fanatiker? Als Nächstes würde er sie »Windelköppe« oder »Sandnigger« schimpfen, wie irgend so ein Redneck im Film. Der Lagerdirektion zufolge handelte es sich um zwei Iraker, einen Ingenieur und einen Taxifahrer. Aber deren Flucht sollte nicht Ellens Sorge sein – noch nicht. Ihr Augenmerk lag darauf, Venn zu ertappen.
Also lag sie wieder im Unterholz, wo man sie nicht sah, von wo aus sie aber den Zivilstreifenwagen des Reviers, einen blauen Falcon, als Umriss in der Dunkelheit erkennen konnte. Im Gebüsch auf der anderen Seite befand sich John Tankard, einer der beiden Polizisten. Pam Murphy saß zusammen mit dem Detective Constable Scobie Sutton auf dem Rücksitz des
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