Flugrausch
Tankards Gewicht. Pam hatte ihre Schuhe ausgezogen, und nun wischte sein massiver Oberschenkel kurz über ihre Fußsohlen, Polyester, von seinem fleischigen Körper von innen erwärmt. Hastig zog sie die Beine an.
Himmel. Sie war zu müde für so etwas.
»Soll ich dir die Füße massieren?«
»Nein danke, Tankard.«
»Oder soll ich mich ans andere Ende setzen und dich mit geschälten Trauben futtern?«
»Was willst du, Tank?«
»Nur ein wenig Konversation treiben.«
»Lass es bleiben.«
Nach einer Weile sagte er: »Das war gut, heute Abend. Sonst wischen wir samstagnachts nur die Kotze aus dem Streifenwagen.«
»Ja.«
Tankard verstummte. Er machte winzige Bewegungen, die durch die Bank zu Pam übertragen wurden wie Verschiebungen tief im Erdinnern. Sie war fast eingeschlafen, als sie ein geöltes Klicken und ein leises, gut geschmiertes Sirren hörte.
Tankard hatte seinen Dienstrevolver gezogen.
»Steck ihn weg, Tank«, sagte sie und bedauerte es sofort. Schließlich war er der König der zweideutigen Anspielungen.
Aber er fragte nicht, was er denn wegstecken solle, und auch nicht, wohin er es denn stecken solle. Stattdessen machte er »Peng, peng«, und der Revolver klickte trocken. Die Kammer war leer.
Entsetzt setzte sie sich auf. Er hatte den Revolver auf ihren Bauch gerichtet, mit dem wirren, verschwollenen Blick eines Mannes, den der Anblick nackter Haut erregt.
»Richte das Ding woandershin!«, brüllte sie und rutschte von ihm fort.
Klick.
»Man richtet nie zum Spaß eine Waffe auf jemanden, das weißt du.«
Klick.
»Hör auf damit«, sagte sie.
Klick.
Völlig erschüttert sprang sie von der Bank auf und schrie: »Du Arschloch!«
Tankard schien wie aus einer Trance zu erwachen – Erregung? Macht? Die Waffe selbst? Vielleicht eine Mischung aus allem. Was immer es auch war, er löste sich davon und sagte verärgert. »Beruhige dich, sie ist nicht mal geladen.«
»Eines Tages wird sie es sein«, entgegnete Pam, ohne das Zittern in ihrer Stimme unterdrücken zu können.
John Tankard wohnte im hinteren Teil eines Blocks aus vier ähnlichen Bauabschnitten in der Salmon Street. Von seiner Wohnung aus konnte er einen Hinterhof sehen, eine stumpfrote Backsteinmauer und gammelige Fallrohre aus PVC. Die Vorderwohnungen gingen auf unkrautüberwucherten Rasen, einen Radweg und Jachten im Trockendock hinter einem von Maschendraht umzäunten und verschlossenen Hof hinaus, aber dafür war die Miete höher. Außerdem war seine Hinterwohnung wie ein toter Winkel in der Welt, ein Versteck vor all dem Scheiß da draußen.
Er schaltete den Fernseher ein und ließ sich aufs Sofa sinken, auf die übliche Stelle an der rechten Armlehne, neben einem kleinen Flohmarktschränkchen, auf dem das Telefon inmitten von kreisrunden Bierdosenspuren stand. Auch das Sofa war vom Flohmarkt; er hatte beides gekauft, als er in diese Wohnung gezogen war. Er hatte das Vinyl mit einem Klebeband repariert, das farblich halbwegs dazu passte, aber das Band löste sich an manchen Stellen, und man konnte sehen, wo der Spalt im Bezug war.
Spalten sind ein Sinnbild meines Lebens.
Woher zum Teufel war das denn jetzt auf einmal gekommen? Er war doch noch nicht mal besoffen, hatte seit dem Mittag kein Bier mehr getrunken.
Aber solch ein Spalt hatte sich doch vorhin im Spindraum geöffnet, oder nicht? Als er mit seiner Waffe auf Pam Murphy zielte und leer abdrückte.
Lieber hätte er ihren anderen Spalt gesehen, ha, ha. Er hatte schon vor einer Weile aufgehört, sie für eine Lesbe zu halten. Sie hockten Tag für Tag zusammen im Streifenwagen, und er genoss ihre körperliche Nähe. Wenn sie nicht hinschaute, begutachtete er ihre Figur in der unvorteilhaften Uniform. Ihre bloßen Arme im Sommer und Frühherbst. Ein-, zweimal hatte er aus dem Augenwinkel mitbekommen, wie sie sich mit der Zunge über die Lippen fuhr. Das war entweder unbewusst geschehen und hatte mit ihm nichts zu tun, oder es war eine unbewusste Reaktion auf seine Nähe, denn schließlich waren ihre Schenkel kaum einen Meter von ihm entfernt. Oder sie wollte ihn anmachen.
Tankard blätterte durch die ungeöffnete Post der Woche. Ein paar Rechnungen und Kreditkartenabrechnungen und die neueste Ausgabe der Sidearm News aus den USA. Als er nach Informationen über die Glock 17 gesucht hatte, war er beim Surfen im Internet auf eine Werbung für dieses Magazin gestoßen, hatte es abonniert und sich leise gefragt, ob das Ganze nicht eine Abzocke war und er eines Tages
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