Flurfunk (German Edition)
meine Mutter weitaus interessanter war, deren Sprösslinge in bestem, heiratsfähigem Alter. Das war meiner Meinung nach auch der einzige Grund, weshalb sie darauf bestand, dass ich an ihren Abendveranstaltungen teilnahm. Wenn es nach meiner Mutter ging, war ich mit sechsundzwanzig Jahren nur kurz davor, als Fallobst entsorgt zu werden.
Ich sah auf die Uhr. Mist! Ich war viel zu spät dran! Wenn meine Eltern etwas nicht duldeten, dann Unpünktlichkeit. Ich hoffte, dass die beiden von den Gästen abgelenkt wurden und mein Zuspätkommen nicht bemerkten.
»Wo bleibst du denn um alles in der Welt!«, rief meine Mutter, als die Tür hinter mir ins Schloss fiel. Sie hielt nicht viel von berufstätigen Frauen. Ein Studium befand sie für wichtig, schließlich war die Uni ein bestens getarnter Heiratsmarkt, und sie pflegte stets zu sagen, »nur wenn man bis zum achten Semester noch keinen Doktor hat, muss man ihn wohl selber machen«. Sie selbst hatte nach ihrer Heirat in jungen Jahren meine Schwester Caroline und mich bekommen und den Vorsitz in mehreren Wohltätigkeitsorganisationen übernommen. Auch heute Abend ging es wieder um irgendeine Spende.
»Ach Kind! Wie siehst du nur aus! So kannst du unmöglich unter die Leute! Bertha hat dir dein Cocktailkleid hingelegt, bitte zieh das an, Schatz, ja?« Wie mein Praktikum bei TV -plus lief, interessierte sie nicht. »Ach, und deine Frisur! Du solltest dir wirklich die Haare blondieren lassen«, seufzte sie. Meine Mutter und ihre Freundinnen waren alle blond. Keine Ahnung, wie sie es hinbekamen, aber sie hatten ausnahmslos den gleichen Blondton. »Kreditkartenblond«, wie meine ältere Schwester Caroline zu lästern pflegte. Sie hatte auch unsere Mutter »die Stütze der deutschen Haarsprayindustrie« getauft, nur dass diese mit ihrer Dreiwettertaft-Frisur nicht nach London, Paris oder Rom jettete, sondern höchstens vom Wohnzimmer in den Salon.
Wenn Caroline heute da wäre, würden wir uns einen Spaß aus der Pflichtveranstaltung machen. Aber meine Schwester hatte es vorgezogen, ein Auslandsjahr in Paris zu verbringen, der Sprache wegen, hieß es offiziell, inoffiziell der Männer wegen.
Widerwillig zog ich mich um; ich hatte gelernt, dass es weniger anstrengend war, sich dem Willen meiner Mutter zu beugen, als endlose Diskussionen vom Zaun zu brechen. Als ich mich zu den Gästen gesellte, klimperte bereits ein Pianist alte Broadwaymelodien, und der Partyservice manövrierte voll beladene Tabletts von einem spendierfreudigen Gast zum nächsten. Sicher würde auch ohne Champagner und Menü eine stolze Summe zusammenkommen.
Meine Mutter rief mich zu sich. Sie sprach meinen Namen neuerdings französisch aus: »Scharlott.« Sie selbst hieß Susanne, aber sie und ihre Busenfreundin Marlene hatten beschlossen, nur noch »Süsann« zu sagen.
»Du bist einfach keine Susanne, du bist eine Süsann «, hatte Marlene meiner Mutter den Floh ins Ohr gesetzt, und seither ging es bei meinen Eltern vornehm französisch zu.
So wurden wir alle zur »contenance« aufgerufen, und nachdem meine Mutter bei Marlenes dubioser Wahrsagerin eine Reise durch ihre früheren Leben gemacht hatte und sie gleich zweimal in Frankreich gelebt haben sollte, einmal als Hugenottin, die vertrieben wurde, und einmal am Königshof, waren die beiden gar nicht mehr zu bremsen gewesen.
»Deshalb zieht es mich auch immer nach Paris und an die Côte d’Azur!«, hatte meine Mutter freudig über die plötzliche Erhellung ausgerufen, und Marlene hatte ihr natürlich beigepflichtet.
Meine gewiefte Schwester hatte ihre Chance gewittert, sich diesen Wahn zu Nutze gemacht und behauptet, auch sie spüre diese Verbundenheit zu Paris und hätte dort auf der Klassenfahrt ungefähr fünf Déjà-vus gehabt, sie müsse zurück in ihre wahre Heimat; damit hatte sie unsere Mutter tatsächlich überzeugt, sie für ein Jahr in die Stadt der Städte ziehen zu lassen.
»Wenn ich es schon nicht kann, dann lebe du wenigstens meinen Traum für mich mit«, hatte Mutter Caroline theatralisch verabschiedet.
Ob sie sich auch nur im Entferntesten vorstellen konnte, dass Carolines Traum weniger mit der französischen Geschichte und zuallerletzt mit einem früheren Leben zu tun hatte, sondern vielmehr mit allem, was die Stadt an männlichen Studenten zu bieten hatte? So viel zum Thema »libération« !
» Scharlott , ich muss dir unbedingt jemanden vorstellen!«, rief meine Mutter ungeduldig.
Ich schaffte es gerade noch, rechtzeitig
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