Flurfunk (German Edition)
und die Versicherung zahlt nicht, falls sie stürzt. Vielleicht hat er auch Angst, sie schläft ein beim Gehen, so viel Tranquilizer, wie die schluckt. Ey, die soll singen und nicht strippen. Da sind ihre Beine wohl sekundär. Es nützt alles nichts. Wir haben keinen Aufzug, das heißt, wir müssen umkoordinieren, denn die Interviewzeit verlängert bekommen wir natürlich auf keinen Fall.«
So verhielt sich also ein natürlicher, auf dem Boden gebliebener Weltstar … wenigstens schien Michelle Reese mit eigener Reiseapotheke unterwegs und versorgt zu sein.
In kürzester Zeit wurde Studio 1 für sie hergerichtet. Die Stimmung war angespannt, und die Entourage der Sängerin, die aus Management, Label und Security bestand, trug nicht wirklich zur Auflockerung bei.
Dann erschien sie! Michelle Reese höchstpersönlich stöckelte auf ihren Highheels, ohne die sie tatsächlich nur ein laufender Meter gewesen wäre, herein, gefolgt von Nina, der Visagistin.
Imka warf sich Michelle an den Hals und betonte, »how fab – just fab« sie aussehen würde. Abwechselnd betitelten sie sich mit »gorgeous« und »hon« ; dass Michelle nachfragte, wie Imka eigentlich heiße, störte diese nicht … bei einem solch starken Freundschaftsband kein Problem.
Erik, einer der Kameramänner, flüsterte: »Und, wie findest du sie?«
»Sie ist viel kleiner, als ich dachte.«
Erik klärte mich auf. »Die meisten sind nur um die 1 Meter 65, was aber gerade fürs Fernsehen und die Kamera die beste Größe ist.«
Leider aber auch nur fürs Fernsehen, denn ich zumindest konnte mit Napoleon-Verschnitten nichts anfangen.
Felix gab mir das Zeichen, und ich machte mich an die Arbeit. Möglichst nicht auffallen, dachte ich. Irgendwie hatte ich das Gefühl, das Ganze am besten zu überstehen, wenn ich mich unsichtbar machte. Mit zitternden Fingern überprüfte ich Michelle Reeses Verkabelung. Die Diva nahm mich keine Sekunde wahr. Wenn man bedachte, wie viele fremde Menschen täglich in ihrem Gesicht, an ihren Kleidern und der Frisur rumwerkelten, wohl auch kein Wunder. – Sie war jedenfalls wirklich wunderschön, auch aus der Nähe.
Nachdem ich meinen Teil der Arbeit ohne Zwischenfälle erledigt hatte, zog ich mich zurück. Ruhig wurde ich aber erst, als das Interview in vollem Gange war und die beiden Freigeister sich gegenseitig Nettigkeiten antrugen.
Die Aufzeichnung dauerte eine halbe Stunde, dann beendete die mitreisende PR -Dame das Interview. Bereits im Vorfeld hatte sie mit Felix abgesprochen, welche Fragen ein »no go« seien. »Wenn eine dieser Fragen angeschnitten wird, breche ich das Interview sofort ab«, hatte sie klargestellt, und keiner der Anwesenden hatte an ihren Worten gezweifelt. Sie war Vollprofi, das merkte man. Klassisch elegant gekleidet, perfektes Make-up und ein schneidender Aufpasserblick, der jede Security überflüssig gemacht hätte.
Nach der großen Verabschiedung fiel Imka allen vollkommen überdreht um den Hals und quietschte: »Lief doch super, oder? Wie war ich?« Ohne eine Antwort abzuwarten, schmiss sie sich Felix an die Brust und ließ sich versichern, wie großartig sie performed habe. Felix schien tatsächlich erleichtert zu sein, dass alles gut gelaufen war, und verteilte großzügig Lob; auch an mich. »Charlotte, du hast geschickt gearbeitet und dich dezent im Hintergrund gehalten.«
Gleich würde ich zur Miss Diskretion gewählt werden, das Einzige, was ich anscheinend wirklich gut machte.
Sogar meine neue Busenfreundin Imka stimmte dem Urteil zu. »Gar nicht schlecht für den Anfang, Süße! So, ihr Lieben. Ich muss los. Heute ist doch Deutschlandpremiere von Lonesome , Bowes neuem Film«, sprach’s und rauschte von dannen, nicht ohne alle paar Meter doch noch einmal stehen zu bleiben, um dem ein oder anderen zu versichern, »wie super alles gelaufen« sei.
»Na, Blut geleckt?«, fragte mich Felix.
Ich nickte und lächelte zaghaft. Vielleicht wollte er mich doch noch feuern. Aber zu meiner Erleichterung wünschte er mir nur einen schönen Abend und verabschiedete mich mit der Aufforderung, am nächsten Tag pünktlich um 9.30 Uhr zur Redaktionssitzung zu erscheinen.
Die erste Herausforderung hatte ich überstanden!
Gerade als ich mich auf den Weg machen wollte, rief Mimi: »Charlotte, komm, ich stell dich mal dem Rest der Redaktion vor. Du kennst sicher noch nicht alle.«
Es war fast 20 Uhr, und sie sprühte immer noch vor guter Laune. Bewundernswert!
Fast die komplette Belegschaft
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