Flußfahrt
Kopf nach unten. Jedenfalls kriegte ich keine Luft mehr. Ich riß die Augen auf, konnte aber nichts sehen. Ich schüttelte den Kopf, um das Wasser aus den Augen zu bekommen, doch es gelang mir nicht. Ich konnte nicht atmen, und von allen Seiten schlug es auf mich ein, wieder und wieder und an den ungewöhnlichsten und unerwartetsten Stellen meines Körpers. Ich wurde vorwärts gerissen und von allem, was im Fluß war, getreten und gestoßen. Ich drehte mich um mich selbst. Ich rollte. Ich versuchte, über das dahinjagende Flußbett zu kriechen. Es nützte alles nichts. Ich war tot. Ich spürte, wie ich in der unglaublichen Gewalt und Brutalität des Flusses verging und aufging. Keine schlechte Art, ins Jenseits zu reisen, dachte ich, vielleicht bin ich schon da. Mein Kopf tauchte aus dem Wasser, und einen Augenblick dachte ich daran, gleich wieder unterzutauchen. Aber zufällig sah ich die beiden Kanus, und dieser Anblick interessierte mich dermaßen, daß es mich am Leben erhielt.
Das grüne Kanu war in der Mitte gebrochen, und beide rollten wie Baumstämme übereinander hinweg. Irgend etwas hielt meine linke Hand im Wasser fest. Das hölzerne Kanu zerschellte an einem Felsblock und verschwand. Das Aluminiumboot kam frei und sauste weiter. Bring deine Füße nach vorn, alter Junge, sagte ich mir. Die Strömung spülte mir in den Mund. Leg dich auf den Rücken. Ich versuchte es, aber jedesmal, wenn ich mit den Füßen nach oben kam, stieß ich mit dem Schienbein gegen einen Felsen. Ich geriet wieder unter Wasser und hörte schwach, wie etwas auf Stein schlug und einen klirrenden, fernen und wunderschönen Klang erzeugte. Vermutlich war es das Aluminiumboot.
Endlich trieb ich auf dem Rücken mit der Strömung dahin und glitt über die Steine hinweg wie ein Tier, das schon immer in mir verborgen gewesen war, sich aber nie hatte befreien können. Mein Oberkörper war dank der Schwimmweste kaum naß geworden. Wenn ich meine Füße – die Fersen – über die Steine brachte, glitt ich wie eine Schlange darüber hinweg, und dabei streifte das Moos auf den Steinen meinen Nacken, bevor ich in die nächsten Stromschnellen katapultiert wurde. Während ich dahinsauste, wurde mir klar, daß wir diese Strecke mit den Kanus niemals geschafft hätten. Zu viele Felsen lagen hier kreuz und quer durcheinander, und die Strömung war zu stark, ja sie wurde immer stärker. Wir hätten an den steilen Ufern auch nicht anlegen oder einfach aussteigen und die Kanus durch die Strömung ziehen können. Wir wären auf jeden Fall umgekippt, und merkwürdigerweise war es mir nun so, wie es geschehen war, durchaus recht. Alles sprach dafür, daß ich mich richtig verhielt, daß es die einzige Möglichkeit war, hier durchzukommen. Es war erschreckend schön, nur daß mir mein ganzer Körper weh tat. Immer wieder riß der Fluß mich voran. Vor mir sah ich einen großen Felsen aufragen. Ich hob die Füße an und rutschte darüber hinweg, knallte mit dem Hintern in einen kochenden Wasserwirbel, gewann wieder Tempo und sauste weiter. Mehrmals schlug ich mit dem Hinterkopf auf, ehe ich gelernt hatte, den Kopf nach vorn zu beugen, wenn ich über einen Felsblock glitt. Danach ging es besser. Ich wußte, ich war verletzt. Aber ich wußte nicht, wo. Meine linke Hand tat ziemlich weh, und darüber machte ich mir mehr Sorgen als um die anderen Schmerzen, da ich mich nicht daran erinnern konnte, sie mir irgendwo verletzt zu haben. Ich reckte sie hoch und sah, daß ich den Bogen falsch hielt, daß die Pfeilspitzen mir bei jeder Bewegung in die Handflächen schnitten. Der Bogen klemmte unter meinem linken Arm. Ich zog ihn hervor und drehte die Spitzen weg, gerade noch rechtzeitig, denn im nächsten Augenblick flog ich wieder über einen Felsbrocken. Während ich weiter flußabwärts schlitterte, bemerkte ich jenseits der nächsten Stromschnellen ruhiges Gewässer: eine breite, glatte Fläche, hinter der wieder weißes Wasser aufschäumte, fern im Abendlicht. Ich entspannte mich und berührte jetzt kaum noch die Steine im Fluß, sondern glitt gewandt durch die kalten Strudel in das ruhige Wasser. Den Bogen hielt ich an mich gepreßt. Jetzt wurde ich getragen und nicht mehr geschleudert. Ich drehte mich lässig, wie in einem riesigen, dunklen Bett, und sah an den Seiten der Schlucht empor, die höher und höher stiegen. Meine Beine schmerzten, aber ich konnte sie beide bewegen, und soweit ich es beurteilen konnte, war keines gebrochen. Ich hob meine Hand aus
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