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Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Dickey
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den Geräuschen der Schlucht verlor. Ich kletterte auf den größten Felsbrocken am Rand der Schlucht und stellte mich darauf. Dann überlegte ich mir, daß ich mich vielleicht auffällig bewegen sollte, und vollführte ein paar Spagatsprünge, wie ich sie im Turnunterricht auf der High School gelernt hatte. Bei dieser Übung betätigte man Arme und Beine mehr als bei allem, was ich mir sonst vorstellen konnte. Es zerriß mich fast, aber ich sprang weiter, so lange ich konnte. Endlich sah Bobby hoch, und sein kleines, ausdrucksloses Gesicht blieb suchend nach oben gewandt. Ich steppte, aber meine Tennisschuhe waren auf dem Felsen nicht zu hören. Meine Wunde schmerzte bei diesem Freudentanz. Ich wies mit dem Arm nach unten. Er zog sein Paddel hoch und tauchte es dann rechts ein, um das Kanu ans Ufer zu steuern. Ich ging zu dem Mann, der seitlich auf der Erde lag, das eine Bein angezogen, und drehte ihn auf den Rücken. Er blickte träge in den Himmel. Sein eines offenes Auge war von einem Zweig getroffen worden und sah trübe aus, aber das andere war klar und blau und zart geädert, wie man es bei Augen selten sieht. Ich sah mich darin – eine winzige Gestalt, die sich über ihn beugte und langsam immer größer wurde. Da ich ihn auf meiner eigenen Schulter hergeschleppt hatte, war es mir nicht mehr unangenehm, ihn zu berühren oder seine Taschen zu durchsuchen. Obwohl ich mich nicht weiter dafür interessierte, wer er war, hielt ich es doch für besser, es nach Möglichkeit herauszufinden. Vielleicht würde ich diese Information noch brauchen können. Ich langte in eine seiner Taschen und stülpte sie nach außen. Sie war leer. Der Knopf an ihr berührte kalt meine Hand. In der anderen Tasche fand ich fünf leere Patronenhülsen, große Patronenhülsen, und ich mußte an Drews Kopf denken. Außerdem steckte noch ein verknitterter Ausweis darin, den ich erst glätten und in die Sonne halten mußte, um ihn entziffern zu können. Der Mann hieß Stovall, und er war ehrenamtlicher Hilfssheriff von Helms County, wo wir uns wohl gerade befanden. Das beunruhigte mich ein wenig, wenn auch nicht sonderlich, denn Lewis hatte mir einmal erzählt, daß hier in den Bergen fast jeder ehrenamtlicher Hilfssheriff war. Was mir in dieser Beziehung am meisten zu schaffen machte, war die Tatsache, daß jemand so viel von ihm gehalten haben mußte, daß er ihm den Ausweis ausgestellt hatte. Er war also offenbar ein Mann, der in der Gemeinde – sofern dieses Wort für Helms County angebracht war – geschätzt wurde. Also war es wahrscheinlich, daß man nach ihm suchte. Ich sah ihn an, und er hatte, selbst für eine so gottverlassene Gegend wie Helms County, ein solches Allerweltsgesicht, daß ihn, wenn überhaupt, nur wenige Leute vermissen würden. Ich zerknüllte den Ausweis und glättete ihn wieder, zerriß ihn dann, ballte die Fetzen zusammen und warf sie in die Schlucht, wo sie sich in einem Windzug zerstreuten, unglaublich lange in der Luft verharrten, bis sie endlich in alle Richtungen auf das Wasser niedersegelten. Ich ging zurück, holte den Todespfeil und warf ihn wie einen Speer in den Fluß. Dann nahm ich den Pfeil, an dem mein eigenes Blut klebte, und warf ihn hinterher. Schließlich nahm ich meinen zerbrochenen Bogen auf. Ich trennte mich ungern von ihm. Ich dachte, daß ich den Teil mit dem Griff vielleicht noch retten konnte, denn den hätte ich gern bis ans Ende meines Lebens behalten, aber dann warf ich ihn doch fort, und warf ihn weit. Ich löste das Nylonseil vom Gürtel. Es war ziemlich lang. Ich glaubte allerdings nicht, daß es ausreichen würde, um den Toten bis zum Fluß hinunterzulassen, aber zumindest reichte es für ein gutes Stück, und dann würde mir schon etwas einfallen. Ich zog den Toten bis an den Rand der Schlucht und befestigte und verknotete das Seil, so gut ich konnte, unter seinen Achselhöhlen. Während ich diese Arbeit verrichtete, betrachtete ich hin und wieder den Kopf des Mannes, und sein Gesicht erinnerte mich in fataler Weise an den vorwurfsvollen Ausdruck, mit dem Thads Sekretärin Wilma ihr Pflichtbewußtsein zur Schau trug. Die Wunde im Hals des Mannes sah jetzt etwas harmloser aus und bei weitem nicht so erschreckend wie das vom Messer zerfetzte Fleisch in meiner Seite, denn sie hatte sich unter dem geronnenen Blut zusammengezogen und wirkte jetzt nicht schlimmer als ein leichter Schnitt, wie man ihn sich beim Rasieren zuzieht. Es war kaum zu glauben, daß der Pfeil ihn ganz durchbohrt

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