Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Dickey
Vom Netzwerk:
und getötet hatte. Das andere Ende des Seils band ich an dem Baum fest, der dem Rand der Schlucht am nächsten stand. Dann beugte ich mich über den Rand der Schlucht und versuchte, Bobby etwas zuzurufen, aber das Hallen meiner Stimme im Abgrund erschreckte mich; ich wußte, daß sie Bobby nie erreichen würde. Die Sonne, die diese Leere da unten füllte, schien sie auszulöschen. Durch einen zum Wasser hin grünbewachsenen Spalt in der Wand konnte ich Bobby erspähen. Ich bildete mir ein, daß von dorther, zusammen mit dem Rauschen des Flusses, auch ein schwaches Rufen heraufdrang. Aber wenn dem wirklich so war, so konnte ich jedenfalls nichts verstehen.
    Wie dem auch sein mochte, ich machte mich ans Werk. Während ich das Seil mit beiden Händen festhielt, schob und rollte ich mit dem Fuß die Leiche vor mir her und stieß sie dann die Felsschräge hinab. Der Körper rutschte in eine senkrechte Lage mit den Füßen nach unten und riß an mir, hart und ruckend. Ich arbeitete mich an dem Seil entlang bis zu dem Baum zurück, an dem ich es festgemacht hatte, stemmte mich gegen ihn und ließ nun die unsichtbare Last Hand über Hand langsam den Steilhang hinunter. Es war eine harte Arbeit. Ich mußte das Nylontau abwechselnd um das eine und dann um das andere Handgelenk schlingen und immer wieder wechseln, und oft schlang ich’s auch um beide. Die Seilrolle zu meinen Füßen nahm allmählich ab, während ich schwitzte und das Seil immer tiefere rote Ringe in meine Handgelenke schnitt, so daß sie zu bluten begannen. Ich wollte, ich hätte das Seil noch einmal um den Baum geschlungen, ehe ich anfing, aber jetzt mußte ich aushaken; die Vorstellung, das Seil einfach loszulassen und damit den Mann jäh fallen und dann am Seil baumeln zu lassen, hatte für mich etwas Erschreckendes. Ich brachte es nicht fertig. Ich schwitzte, hielt das Seil mit aller Kraft fest und versuchte mir vorzustellen, was Bobby wohl dachte, wenn er jetzt einen Mann so von oben herabkommen sah, Zentimeter um Zentimeter – denselben Mann, der ihn mit dem Gewehr in Schach gehalten hatte, während ein anderer ihn vergewaltigte, denselben Mann, der ihn bedenkenlos getötet hätte. Und jedesmal, wenn die Spannung des Seils zunahm oder nachließ, versuchte ich mir vorzustellen, wo der seiner menschlichen Würde beraubte Körper gerade sein mochte und was mit ihm geschah, während ich mühevoll mit meinen rotgeschundenen Handgelenken sein Baumeln, Rutschen und Rollen zu kontrollieren und ihn vor hartem Aufprallen auf Felsvorsprüngen und Kanten zu bewahren versuchte und davor, daß er unten auf den Flußfelsen wie ein Sack Gummibonbons aufplatzte. Ich ließ das letzte Meter Seil durch die Hände gleiten und hatte Mühe, meine Handgelenke von ihm zu befreien. Ich trat zurück, und nun hielt der Baum den Körper mühelos. Während ich an den Rand der Felswand ging, versuchte ich den Krampf aus meinen Händen zu schütteln. Sie schienen noch immer verzweifelt das Seil halten zu wollen. Ich blickte den grünen Strang entlang, der über den sandigen Rand des Felskliffs lief, dann über einen gefährlich scharfen Felsvorsprung, hinter dem er eine Weile verschwand, um dann wieder aufzutauchen, straff eine Leere überspannend; dann hatte er sich an etwas verfangen und schwang darunter leicht hin und her, dort, wo der unsichtbare Körper hängen mußte. Wieder fragte ich mich, was Bobby wohl denken mochte. Ich ging zu dem Baum zurück und prüfte die Knoten, kehrte dann an die Stelle zurück, wo das Seil über den Rand der Schlucht hinabführte, und versuchte, mein blutiges Taschentuch zusammengeknüllt zwischen Felskante und Seil zu schieben, damit der scharfe Stein es nicht durchscheuerte, aber ich hatte nicht mehr die Kraft dazu. Auch gut, sagte ich. Hier half nur noch Vertrauen; man mußte Vertrauen haben. Ich wandte mich dem Wald zu und ließ mich auf die Knie nieder, faßte das Seil mit der einen Hand unterhalb der Felskante, oberhalb mit der anderen, schlang meine Füße darum und machte mich an den Abstieg. Es war für mich ein Genuß, diesmal zu wissen, woran ich mich festhielt und daß ich nicht erst nach einem Halt tasten mußte, der vielleicht gar nicht vorhanden war, einem Halt, den es hier nie gegeben hatte und nie geben würde. Aber aus meinen Händen und Armen war schon fast alle Kraft gewichen; daß ich mich noch an dem Seil hielt, merkte ich nur an dem Schmerz in meinen Händen und daran, daß ich nicht in die Tiefe stürzte. Ununterbrochen

Weitere Kostenlose Bücher