Flußfahrt
Wind sich oben in den Bäumen rührte. Als ich den Rand der Lichtung ungefähr zur Hälfte abgeschritten hatte, zuckte einer der Strahlen und spiegelte sich in einem Gegenstand. Es war ein rotbrauner Stein von der Größe eines Tennisballs, der so aussah, als hätte man ihn in aller Eile bemalt, und es dauerte eine Minute – mein Kopf wurde immer schwerer –, bis ich begriff, was das bedeutete und daß es nicht mein Blut war.
Hier bist du noch nicht gewesen, sagte ich mir immer wieder, das Messer noch im Mund, hier bist du noch nicht gewesen.
Ich ging zu dem Stein. An dieser Stelle mußte er den letzten Rest Blut verloren haben, der ihm noch erlaubt hatte weiterzukommen. Einige Schritte tiefer im Wald fand ich jedoch auf einem tiefhängenden Zweig noch etwas Blut; vielleicht war er noch ein Stück gekrochen. Ich erwog, mich wieder auf Hände und Knie niederzulassen und abermals wie ein Tier nach Blut zu schnuppern, aber die Möglichkeit, daß er noch kroch, veranlaßte mich, aufrecht zu bleiben, und ich blieb aufrecht, wenn auch gekrümmt, den Ellbogen an mich gepreßt, der mein eigenes Blut zurückhielt. Ich ließ meine Augen über die Steine und Blätter und Kiefernnadeln am Boden streifen, und knapp zwanzig Meter weiter lag etwas am Fuß eines abgestorbenen Baumes. Es hätte ein Busch oder ein großer Stein sein können, aber ich sah schon auf den ersten Blick, daß es weder das eine noch das andere war. Es bewegte sich zwar nicht, doch als die Sonne darüberhin spielte, schien es nicht vollkommen leblos, sondern es lebte so, wie das meiste im Wald lebt.
Ich ging hin, und es war ein Mann, der mit dem Gesicht nach unten lag und sich an einer Wurzel des toten Baums festgekrallt hatte. Er hatte schmale, schmutzige Finger, und sein Rücken war von Blut überströmt. Hier war nichts mehr zu tun, ich konnte mich nur noch an die Arbeit machen. Unsere Gedanken waren ineinandergefügt gewesen. Jetzt trennten sie sich und fielen auseinander, und in gewisser Weise bedauerte ich das sogar. Nie zuvor hatte ich mit den Gedanken eines anderen Mannes so lange und so intensiv über eine Frage von Leben und Tod nachgedacht, und nie würde ich es wieder tun. Das Messer zwischen den Zähnen, stand ich schwer atmend da und sah zu ihm hinunter. Dann nahm ich es aus dem Mund. Er lag am Boden, und seine Haltung hatte nichts mehr gemeinsam mit den anderen Haltungen, in denen ich ihn gesehen hatte, als er noch lebte. Dann erinnerte ich mich wieder an die Haltung, in der er oberhalb des Flusses gestanden hatte und in der ich ihn so gern getötet hätte. Jetzt machte er den gleichen entspannten, gelösten Eindruck, als gehöre er hierher, als fühle er sich überall wohl, aber besonders im Wald.
Ich drehte ihn mit dem Fuß herum, und seine Hand bewegte sich, und in der Handfläche sah man noch den Abdruck der Wurzel. Er zeigte sein Gesicht. Ich kniete neben ihm nieder, und das Messer fiel mir aus der Hand. Mein Herz schien in meiner Wunde zu schlagen und mit allen Kräften mein Blut aus mir herauszupumpen. In wildem Entsetzen schlug ich die Hände vor mein Gesicht. Ich konnte einfach nicht hinsehen. Sein Mund war geöffnet und voller gelber Zähne. War es wirklich so? Ich kroch zu ihm hin und nahm mein Messer. Ich schob es ihm in den Mund und fuhr ihm damit am Gaumen entlang, und da löste sich ein künstliches Gebiß und rutschte halb heraus. Erklärte das den Unterschied? Erklärte das den Unterschied genügend? Mit dem Messergriff schob ich die falschen Zähne wieder zurück, und dann sah ich den Mann an und musterte ihn genau. Er war wie der zahnlose Mann auf der Lichtung gekleidet, aber ich konnte nicht mit letzter Sicherheit sagen, daß er genauso gekleidet war; in jedem Fall aber sehr ähnlich. Er hatte ungefähr die gleiche Größe, und er war hager und sah abstoßend aus. Und obgleich die Zeit, die ich auf der Lichtung in seiner Nähe verbracht hatte, in mein Gehirn eingebrannt war, hatte ich ihn doch unter ganz anderen Umständen gesehen als jetzt. Wenn er sich noch einmal bewegt hätte, hätte ich die Frage beantworten können. So aber konnte ich es nicht, und ich kann es auch heute noch nicht.
Ich nahm das Messer in die Faust. Was nun? Irgend etwas. Niemand würde es sehen. Niemand würde es je erfahren. Ich konnte alles tun, was ich tun wollte. Nichts schien zu fürchterlich. Ich konnte ihm die Genitalien abschneiden, mit denen er mich hatte mißbrauchen wollen. Oder ich konnte ihm den Kopf abschneiden und ihm dabei ganz
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