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Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Dickey
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sprach ich mir Mut zu und redete beschwörend auf die Steine ein, die mir ihre scharf umrissenen Spitzen und Kanten entgegenreckten – Formen, wie ich sie aus dieser Nähe noch nie gesehen oder berührt hatte. An einigen Stellen mußte ich innehalten; den Blick auf das rauhe Gestein gerichtet, hing ich zwischen Leben und Tod über dem den Raum in der Tiefe durchziehenden Fluß, und dieses Bild prägte sich mir so tief ein, daß ich es immer sowie damals vor Augen haben werde – immer, Tag und Nacht, und über den Tod hinaus. Ich kämpfte und keuchte am Fels und atmete den Steinstaub ein, den mein stoßender Atem aufwirbelte. Zuletzt ruhte ich mich auf einem fangzahnförmigen Steingesims aus, das an der Stelle, wo ich stand, ungefähr zwanzig Zentimeter breit war; wenn ich mich mit beiden Händen am Seil festhielt, konnte ich beinahe bequem auf dem Sims sitzen. Ich sah, wie sich der tote Körper unter mir im Rhythmus meiner Handbewegungen drehte. Er sah unendlich schwer aus, schwer in seiner toten Masse, und der Kopf hing ihm auf die Brust herab, als sinne er in sich versunken nach. Bobby konnte ich ebenfalls sehen, obwohl wir beide noch nicht wieder versucht hatten, miteinander zu sprechen. Er hatte das Kanu in eine Einbuchtung des Steilufers gebracht, wo das Wasser einen Strudel bildete, und hielt es dort mit leichten Paddel schlagen gegen die Strömung. Ich setzte meinen Abstieg fort. Ich sehnte mich danach, auf festem Boden zu stehen. Der Körper hing ungefähr zehn Meter über dem felsigen Ufer, und ich hatte keine klare Vorstellung davon, was ich tun sollte, wenn ich am Ende des Seils angelangt war. Ich dachte daran, den Toten abzuschneiden und dann selbst in den Fluß zu springen, aber das würde sich finden, wenn ich erst einmal unten bei ihm war. Schließlich befand ich mich unmittelbar über ihm, drückte mich mit einem Fuß und einem Knie vom Felsen ab und überlegte mir, wie ich ausweichen konnte, ohne wie Harold Lloyd in einem Stummfilm über ihn hinwegklettern zu müssen.
    Das Seil riß, und wir stürzten in die Tiefe. Es gab nichts mehr zu überlegen. Aber was ich mir in der Nacht zuvor überlegt hatte, rettete mich: Ich stieß mich mit dem Fuß und mit dem Knie des anderen Beines kräftig vom Felsvorsprung ab und gewann dadurch ungefähr einen Meter Abstand von der Steilwand. Die Felsen kamen auf mich zu, ich auf sie. Als mein Kopf sich in der Luft drehte, sah ich, daß ich frei fiel, und das war das einzige, worauf es jetzt ankam. Ich hätte auch nichts mehr tun können. Es war ein Augenblick sonnigen Nichts, ein Fallen und Drehen. Wo war der Fluß? Grün und Blau gingen vor meinen Augen ineinander über, und dann schlug mein rechtes Ohr in den Fluß wie ein Pickel gegen das Eis. Ich schrie; es war ein gellender, sich an den Felswänden brechender Schrei. Und dann fühlte ich, wie die Strömung mich gleichsam durchbohrte, zuerst meinen Kopf, vom einen Ohr zum anderen, und wie sie dann irgendwie durch meinen ganzen Körper schoß, das Rektum hoch und aus meinem Mund heraus. Ich begriff, daß ich mich in einem mir bekannten Element befand: im langsamen, gemächlichen Sog der Strömung. Dann ergriff das Wasser Besitz von der Wunde, und mir war, als sei ich von ihr befreit. Ich hatte seit so vielen Jahren keine ernsthafte Verletzung mehr gehabt, daß ich diese plötzliche Schmerzlosigkeit geradezu genoß, obgleich ich, als ich mich zur Oberfläche des Wasser hocharbeitete, spürte, daß ich jetzt doch geschwächter war, als ich gedacht hatte. Bewußtlosigkeit durchflutete mich. Ich befand mich in einem Raum mit verschiedenen Grüntönen, die sich wundervoll vom Hellen zum Dunklen hin abstuften, und ich ging auf das blasseste Grün zu, obwohl es sich eher neben als über mir zeigte. Kurz bevor ich durch das Wasser nach oben brach, sah ich die Sonne über mir flüssig und formlos, und dann explodierte sie mir ins Gesicht. Ich war an mehreren Stellen verletzt, besonders an den Händen, aber als ich Arme und Beine im Wasser ausprobierte, merkte ich, ich war doch nicht so schlimm verletzt, daß ich mich nicht mehr hätte bewegen können. Ich trieb mit dem Strom, dachte, daß ich jetzt schwimmen mußte, und tat es auch schon. Ich kam seitlich am Kanu heraus und zog mich vorsichtig hoch. Das Gesicht von Lewis war nur zwanzig Zentimeter von dem meinen entfernt. Seine Augen waren geschlossen, er lag da wie tot, aber sein Kopf bewegte sich. Die Augen öffneten sich, und er sah mich lange mit einem ernsten Blick

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