Flußfahrt
versuchte, die Richtung der Blutspur festzustellen. Wo es auf den Sand getropft war, war es gleich eingesickert, und deshalb wußte ich sofort, daß ich mich, wenn ich etwas feststellen wollte, besser an das Gestein hielt – sofern ich richtig überlegt hatte. Er war auf den Wald zugekrochen, und das war ganz selbstverständlich. Aber als ich mir darüber klar wurde, daß sein Blut diese Tatsache bestätigte, wuchs meine Sicherheit. Ich folgte ihm Stein für Stein. Am Rand des Waldes fand ich das Gewehr – flach und lang, und zwischen den Kiefernnadeln am Boden wirkte es irgendwie fehl am Platz. Ich ließ es liegen und zog das Messer. Ich war auf den Knien, und mein Blut tropfte auf die Spur seines Blutes. Einmal mußte ich ein Stück zurück, um die Spur wiederzufinden, da ich mein Blut nicht mehr von seinem unterscheiden konnte. Die Wunde hatte einen großen Teil meiner Nylonkombination durchtränkt, und das Blut sickerte hindurch. Aber ich fühlte mich kaum geschwächt. Ich fragte mich, ob das Blut bei einer so großen Wunde überhaupt gerinnen konnte, aber die Stelle war inzwischen irgendwie taub geworden, und in der Zeit, die seit dem Herausschneiden des Pfeils vergangen war, hatte ich eine Methode entwickelt, beim Gehen und Stehen den Ellbogen darauf zu halten, die mir fast schon zur zweiten Natur geworden war. Ich fühlte, daß ich mich noch eine Zeitlang auf den Beinen halten konnte. Meine Gedanken reichten jeweils nur bis zum nächsten Stein, auf den ich noch nicht geblutet hatte. Da, wo ich jetzt ging, gab es keinen Pfad. Es war dunkel, aber das Blut konnte ich noch erkennen, und wenn ich es nicht sah, konnte ich es fühlen und gelegentlich auch riechen.
Ein letztes Mal versuchte ich, mich in die Gedanken des Mannes, den ich erschossen hatte, hineinzuversetzen. Der Pfeil hatte ihn durchbohrt. Es hatte ausgesehen, als hätte ich ihn genau unter dem Hals getroffen, aber vielleicht war es auch etwas tiefer gewesen. Er war tödlich getroffen, er hatte keine Waffe mehr, und wahrscheinlich war seine Halsschlagader durchschnitten. Das einzige, was mich jetzt noch im Zusammenhang mit ihm beschäftigte, war die Möglichkeit, daß er sich an eine Stelle schleppte, wo er sich auskannte, an einen Ort oder, noch genauer, zu jemandem, den er kannte. Im Grunde glaubte ich das zwar nicht, aber ebensowenig wußte ich, daß es anders war. Und ich mußte ihn finden. Wenn es mir nicht gelang, konnte jemand anders ihn finden, und das würde für uns alle so oder so das Ende sein oder doch zumindest der Beginn von Verhören, Untersuchungen, Verhandlungen mit Rechtsanwälten und von all den vielen anderen Dingen, denen wir zu entgehen versucht hatten, als Lewis uns dazu überredet hatte, den ersten Mann unter dem Farnkraut zu vergraben. Es war so dunkel, daß man im Stehen nicht mehr sehen konnte. Ich mußte näher an das Blut heran. Ich kroch auf allen vieren wie ein Hund auf dem Boden, den Kopf nach unten, das Messer zwischen den Zähnen. Ich kroch durch Gebüsch, bis ich schließlich auf eine Lichtung kam, die etwa vierzig Meter breit sein mochte. Ich konnte den Fluß kaum noch hören; er war nur noch ein entferntes Murmeln, weit weg und tief unter mir. Jeder Busch, jeder Baum, den ich zwischen ihn und mich brachte, ließ das Murmeln schwächer werden.
Aber ich hatte die Blutspur verloren. Ich brachte kaum noch den Kopf hoch, fühlte mich ermattet, aber nicht sonderlich geschwächt. Das Schlimmste war, daß ich nicht mehr klar denken konnte. Ich wußte nur, daß ich sein Blut um jeden Preis wiederfinden mußte. Sonst war alles umsonst gewesen. Ich stand auf und ging bis zur Mitte der Lichtung. Ein auf den Tod verletzter Mann hat sicher nicht mehr den Wunsch, sich durch Dickicht und Gebüsch durchzukämpfen. Wenn er versuchte, eine bestimmte Stelle zu erreichen, hatte er sich sicher über die freie Lichtung geschleppt. Und wahrscheinlich hatte er es auch dann getan, wenn er keine bestimmte Stelle erreichen wollte. Der Mann befand sich nicht auf der Lichtung, also hatte er sie bereits überquert. Hatte er sich in gerader Richtung über sie hinwegbewegt? War er dazu noch imstande? Ich ging hinüber zum gegenüberliegenden Rand der Lichtung, bereit, jeden Busch, jedes Blatt zu untersuchen, und arbeitete mich langsam am Waldrand entlang. Die Pfeile der Vormittagssonne trafen überallhin, sie waren zart und nadelspitz, zielten ohne ersichtlichen Grund auf bestimmte Stellen und bewegten sich leicht auf dem Waldboden, wenn der
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