Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition)
erkennt in ihm auch einen Partner für künftige Unternehmungen. Und die Zukunft hat einen Namen: Dampfkraft. In England hat sie längst begonnen. In genau den Jahren, in denen sich auf dem Kontinent alles um ideelle Güter dreht, um Staatsformen, Grenzen und Gesetze, um Philosophie, Dichtung und Musik, werden in der angelsächsischen Welt handfeste Tatsachen geschaffen.
1807 bewegt sich zum ersten Mal in der Geschichte des menschlichen Verkehrs ein Fahrzeug ohne äußere Krafteinwirkung: die Clermont , ein von einer Wärmekraftmaschine angetriebenes Passagierschiff. Es befährt den Hudson zwischen New York und Albany, doch die Erfindung findet schnell ihren Weg zurück ins Ursprungsland der neuen Technologie. Schon 1812 fahren auf allen englischen Flüssen dampfbetriebene Linienschiffe. Es wäre zu wenig gesagt, dass Friedrich Schröder das weiß. Er sieht es förmlich. Wie ein mächtiges Traumbild steht ihm der neue Schiffstyp vor Augen. Aber es ist ein Tagtraum, realistisch und gesättigt von Erfahrung. Schröder ist ein Mann von Welt, der auf langen Reisen seine Vorstellungskraft geschult hat. Er hat dabei Männer von visionärer Kraft getroffen, Wilhelm von Humboldt etwa, den preußischen Gesandten am päpstlichen Stuhl, mit dem ihn seitdem eine Freundschaft verbindet. Vor allem aber hat er sich auf zwei Studienfahrten mit der technologischen Neuerung vertraut gemacht, die schon bald das Gesicht ganz Europas verändern wird. Er war in Birmingham. Er hat James Watt kennengelernt. Er weiß, wie Dampfmaschinen aussehen. Was für Geräusche sie machen. Wie die Luft in ihrer Umgebung riecht. Vor allem aber versteht er, wie sie funktionieren. Und wenn er selbst auch seit 1802 nicht mehr in Englandwar, so ist er über seinen dort lebenden Schwager immer über die neuesten Entwicklungen informiert. Obwohl er noch nie eines gesehen hat, kann er sich also Dampfschiffe sehr konkret vorstellen.
Wäre der Handel mit England nicht unterbunden, er könnte längst Reeder einer eigenen Dampferflotte sein. Nicht als Patriot, sondern vor allem als Unternehmer freut er sich daher über die Siegesnachrichten aus Leipzig, Ligny und Waterloo. Denn als 1814 der Pariser Friedensvertrag unterzeichnet wird, bedeutet das für ihn vor allem eines: freie Fahrt nach England. Das Einzige, was jetzt noch fehlt, ist ein Privileg auf den Betrieb von Dampfschiffen. Als der Bremer Senat es ihm am 18. Juni 1816 für 25 Jahre erteilt, kann die Planung beginnen. Die wichtigste Frage ist, woher das Schiff kommen soll. Am liebsten würde Schröder einer englischen oder schottischen Reederei einen Dampfer abkaufen, der sich bereits bewährt hat. Nur für den Fall, dass das nicht möglich ist, soll gebaut werden. Und auch da spräche die Erfahrung für England oder zumindest einen britischen Baumeister. Ein brandenburgischer Reeder, so ist ihm zu Ohren gekommen, hat gerade einen Schotten mit dem Bau eines Dampfers für die Spreeschifffahrt beauftragt.
Die Einführung einer neuen Technologie ist allerdings nicht nur ein unternehmerisches Wagnis. Ohne Fachleute, die mit ihr umzugehen wissen, sie bedienen, warten und reparieren können, hängt das Geschäft in der Luft. Darum reist Schröder 1816, im kältesten Sommer seit Menschengedenken, nicht allein nach England. Er hat drei ausgewählte Begleiter. Zuerst muss der Mechaniker Ludwig Treviranus genannt werden, ein leidenschaftlicher Bewunderer und Kenner der wattschen Kraft-Wärme-Technik. Gleich 1814 ist ernach England gereist, um sein Wissen auf den neuesten Stand zu bringen. Neben einem Ingenieur erfordert das Unternehmen aber auch Männer, die mit den lokalen Gegebenheiten auf der Unterweser vertraut sind. Denn die sind heikel. Seit langem schon kämpft die Bremer Schifffahrt mit der Versandung des Flusses. Schröder braucht also einen ortskundigen Kapitän. Er findet ihn in Zacharias Spilcker, der seit vielen Jahren die Weser zwischen Bremen, Vegesack, Elsfleth und Brake befährt. Und er braucht, gleichsam als Mittelsmann zwischen Technik und Praxis, einen örtlichen Schiffbauer. Dass das nur Johann Lange sein kann, ist ihm schon früh klar. Er kennt und schätzt ihn seit Jahren, nicht nur als Geschäftspartner. Außerdem hat Schröder sich mit niemandem ausführlicher über seine Idee ausgetauscht. Für beide Männer wäre die Franzosenzeit deutlich weniger erträglich gewesen, wenn sie nicht Zukunftspläne hätten spinnen können. Auch Lange weiß also bis ins Detail genau, wie Dampfschiffe
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