Föhn mich nicht zu
Urkunde nicht ausgehändigt, schuld daran waren die Leukozyten im
Urintest. Zwar versicherte ich: «Jetzt ist mein Urin wieder in Ordnung. |39| Ich war noch mal zum Wasserlassen im Gesundheitsamt.» Doch mein Seminarleiter erklärte, das Ergebnis meiner zweiten Probe,
die ich vier Wochen nach der ersten abgegeben hatte, läge der Senatsverwaltung und ihm noch nicht vor. Vielleicht hatte Frau
Dr. Jost die Weiterleitung des leukozytenfreien Befunds absichtlich verzögert, zur Strafe für meine Wissenslücken während der
ersten Untersuchung. Ich war somit nicht, wie alle anderen Referendare, ein Beamter auf Widerruf, sondern zugleich noch ein
Referendar auf Widerruf – obwohl mittlerweile ein Experte für Fragen rund um die Blasenentleerung. Aber immerhin behielt ich
meinen prekären Status nur für vierzehn Tage. Dann hatte die Beuthstraße und Herrn Schubert die Nachricht erreicht, dass von
meinem Harn für die Schüler keine Gefahr ausging.
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«Achten Sie auf die nonverbalen Signale des Lehrers!»
Manchmal jagte ich den älteren Lehrern regelrecht Angst ein – wenn ich in ihren Unterricht wollte. Dabei tat ich nur das,
was uns Referendaren unser Hauptseminarleiter Herr Schubert bereits kurz nach der Vereidigung geheißen hatte: «Hospitieren
Sie, so viel Sie können! Nicht nur im vorgeschriebenen Umfang. Durch Beobachtung Ihrer Kollegen können Sie eine Menge lernen.
Was gestandene Lehrer gut machen. Und was gestandenen Lehrern nicht so gut gelingt, was Sie darum besser vermeiden sollten.»
Die besagten gestandenen Kollegen an meiner Schule fürchteten wohl vor allem Letzteres. Anders konnte ich mir die Widerstände
nicht erklären, auf die ich bei ihnen ständig mit meinem Wunsch stieß, mir ihre Stunden anzuschauen. Nicht bei allen, aber
bei sehr vielen. Ich fing mir im Kollegium bereits in der ersten Woche mehr Körbe ein als in den achtundzwanzig Jahren zuvor.
Die Körbe kamen aber nicht nur von Frauen, sondern auch von Männern. So von dem Kollegen Zwirner.
«Entschuldigen Sie, wäre es möglich, dass ich mich in der nächsten Stunde bei Ihnen hinten reinsetze?»
«Warum denn das?»
«Als Referendar muss ich regelmäßig hospitieren.»
«Und wieso bei mir?»
«Weil Sie wie ich Geschichte 2 unterrichten.»
|41| «Nee! Lassen Sie mal! Das ist mir nicht so recht. Fragen Sie doch Frau Wenzel! Die macht das bestimmt.»
«Da hab ich schon gefragt. Die hat nein gesagt.»
Frau Ullrich hatte mich noch vehementer abgewimmelt: «Darf ich bei Ihnen …»
«Nein!»
«Aber …»
«Ich hab
nein
gesagt!»
Vielleicht hatte sie mich auch nur für einen Schüler gehalten.
Von einigen Lehrern musste ich mir sogar Vorwürfe anhören, so von der weißhaarigen, leicht geduckt laufenden, weil immer Böses
witternden Frau Steinert: «Sie wollen sich wohl ein Urteil von mir verschaffen! Gucken, was ich alles falsch mache. Ich kann
Ihnen aber gleich sagen: Bloß weil Sie von der Uni kommen, können Sie nicht alles besser. Ich sag Ihnen: Das, was Sie an der
Uni gelernt haben, vergessen Sie am besten sofort! Das nützt Ihnen hier gar nichts.» Ihr Hochschul-Bashing war umso absurder,
als sie selbst mal eine Universität besucht hatte.
«Aber ich will Sie gar nicht kontrollieren. Ich muss nur hospitieren.»
«Na, ich weiß doch, wie die Studenten ticken. Sie freuen sich über jeden Fehler, den man macht. Stehen Sie mal selber vor
dreißig halbkriminellen Jugendlichen. Dann möchte ich mal sehen, wie Sie sich anstellen würden.»
Frau Steinert war so auf Verteidigung eingeschossen, dass Sie mir gar nicht die Möglichkeit gab, ihr zu erklären, dass ich
längst kein Student mehr war, sondern Referendar mit eigenen Unterrichtsverpflichtungen. Auch ich hatte in den nächsten zwei
Jahren vermutlich mehrmals pro Woche dreißig halbkriminelle Jugendliche vor mir. Meiner aufgebrachten, kurz vor der Pensionierung
stehenden Kollegin war nur in einem Punkt Recht zu geben. Ich freute mich tatsächlich über jeden Fehler, den ich bei |42| anderen Lehrern beobachtete. Am liebsten hospitierte ich sogar in Stunden, die völlig in die Hosen gingen und die den Lehrer
zur Verzweiflung brachten. Aber nicht aus Schadenfreude, wie Frau Steinert anzunehmen schien, sondern weil diese Beobachtungen
mein eigenes Scheitern relativierten. Wenn selbst deutlich mehr Berufserfahrung einen nicht davor schützte, immer wieder auch
Unterricht zu vergeigen, warum sollte ich mich dann von
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