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Föhn mich nicht zu

Föhn mich nicht zu

Titel: Föhn mich nicht zu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Serin
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medizinischen Fachjargon erklären
     konnte, wo Klumpfüße – eine Form von Fehlstellung, bei der die Füße bei der Geburt nach innen verdreht waren – und Skoliose,
     eine seitliche Verbiegung der Wirbelsäule, eigentlich herkamen. Vielleicht würde mich die Ärztin gleich auffordern: «Herr
     Serin, legen Sie bitte knapp die heute gängigen Methoden zur Behandlung von Klumpfüßen dar!» Oder: «Erklären Sie bitte die
     von Dr.   Clyde Lester Nash zur Bestimmung des Krümmungswinkels der Skoliose angewandte Methode!»
    Doch Frau Dr.   Jost hielt sich mit meinen Klumpfüßen nicht weiter auf, wollte vielmehr nur wissen, ob ich mir trotz dieser Beeinträchtigung
     zutraute, in der Pause auch hinter einem, wie sie es nannte, «ungezogenen Schüler» herzurennen. Was ich bejahte, denn dank
     mehrerer Operationen zeigten meine Füße mittlerweile immerhin nach vorne. Wenn sie mich im Referendariat tatsächlich nicht
     wollte, hätte sie dann nicht besser gefragt, ob ich mir zutraute, den ungezogenen Schüler auch zu fangen? Ich wurde aus ihr
     nicht schlau. Vielleicht wollte sie mich vor Antritt meiner Ausbildung vor allem verunsichern. Was aber nicht nötig gewesen
     wäre. Das schaffte ich alleine.
    |22| Zum Vorhaben, mich einzuschüchtern, passte der Vorwurf, den ich mir einfing, als ich ihr gestand, gegen meine chronischen,
     skoliosebedingten Rückenschmerzen nur gelegentlich Gymnastik zu machen. Verantwortungslos sei das, schalt sie mich. Sie wies
     mich in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, an, mir von nun an für diese Übungen jeden Tag zehn Minuten Zeit zu nehmen.
     Diese oberlehrerhafte Instruktion ließ für den sich anschließenden Hör- und Sehtest nichts Gutes erahnen, boten sich hier
     doch erneut Möglichkeiten, mich zu maßregeln. Dafür, dass ich zu oft ohne Oropax das Berliner Clubleben genossen hatte; und
     dafür, immer noch meine Brille aus der dreizehnten Klasse zu tragen, also das Modell aus der Lebensphase, als ich anderthalb
     Dioptrien weniger schwere Gläser benötigte.
    Aber zu meiner großen Verwunderung meisterte ich diese beiden Prüfungen ohne Probleme. Vielleicht lag es daran, dass für die
     amtsärztliche Untersuchung zur Einstellung in den öffentlichen Dienst Tafeln mit größeren Zahlen verwendet und die viersilbigen
     Zahlwörter nicht zugeflüstert, sondern laut und deutlich gesprochen werden. Möglicherweise spielte die tatsächliche körperliche
     Verfassung der Bewerber fürs Referendariat auch einfach keine Rolle, solange man keine ansteckende Krankheit hatte.
    Zum Schluss sollte ich mich entkleiden und hinlegen. Frau Jost tastete meine Bauchgegend ab und testete meine Reflexe. Ich
     hatte welche, sogar einen Puls und einen Blutdruck. Insgesamt hatte ich damit besser abgeschnitten als erwartet – trotz meiner
     Uringeschichte. Das musste doch zur Zulassung reichen.
    Zuversichtlicher als zu Beginn der Untersuchung, zog ich mich wieder an. Als ich gerade in meine Hose schlüpfte, ergriff sie
     ein weiteres Mal das Wort, aber keineswegs, um mir mitzuteilen, ob ich nun tauglich sei.
    «Ich wollte Ihnen nur sagen, dass Ihr Körper ästhetisch nicht unansehnlich ist. Sie brauchen keine Komplexe zu haben.»
    |23| «Wieso Komplexe?», wunderte ich mich.
    «Na ja. Sie werden sicherlich oft gehänselt wegen Ihrer Behinderungen.»
    «Eigentlich nicht.»
    «Na gut! Aber Sie wissen ja sicherlich, wie Schüler so sind. Ich wünsche Ihnen jedenfalls ein dickes Fell. Schalten Sie dann
     einfach auf Durchzug!»
    Psychologisches Einfühlungsvermögen war nicht ihre Stärke. Ich war bisher fest davon ausgegangen, meine körperlichen Defizite
     durch mir gewogene Kleidung kaschieren zu können: meine klobigen orthopädischen Schuhe unter den gazellenhaften Unterschenkeln
     durch weite, lange Schlaghosen und meine Skoliose, indem ich darauf verzichtete, mit nacktem Oberkörper zu unterrichten und
     den Mädchen und Jungen so meinen Rücken zur Schau zu stellen. Den skoliosebedingten Verlust an Körpergröße – etwa zwei Zentimeter
     – glich ich durch Einlagen in meinen Schuhen teilweise wieder aus. Aber was hatte Frau Dr.   Jost im Sinn gehabt? Etwa einen Wandertag ins Schwimmbad? Daran hatte ich tatsächlich nicht gedacht. Vielleicht konnte man
     als Referendar von der Schulleitung gegen seinen Willen dafür eingeteilt werden. Als was würden mich die Schüler dann wohl
     verhöhnen? Als Klumpie? Als Glöckner von Notre Dame? Als Plattfußantilope?
    «Also heißt das, dass

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