Föhn mich nicht zu
fesselt sie für lange Zeit ans Bett. Doch sie gibt
sich nicht auf, sondern beginnt im Krankenhaus mit großem Beharrungsvermögen ihren Zimmergenossen zu zeichnen und zu vernaschen.
Behilflich sind ihr dabei ihre Eltern, die sie bei jedem Besuch in sein Bett tragen. Ihre Träume, Sehnsüchte und insbesondere
ihre Schmerzen verarbeitet sie in leidenschaftlichen, unverblümten Aktgemälden und Orgien, die vom Krankenhauspersonal gefeiert
werden. Ihre Werke haben eine solche Eindringlichkeit, dass sie die Aufmerksamkeit und Liebe ihres späteren langjährigen Lebensgefährten
und Ehemanns gewinnt (in der Rolle als Diego Rivera ein Mann, der eine gewisse Ähnlichkeit mit Alfred Molina hat) . Um das Feuer ihrer Liebe zu erhalten, sind sowohl Frida als auch Diego gezwungen, sich gegen ihren Willen regelmäßig zu betrügen.
Ein Glück, dass sie dabei auf ihre jeweiligen Modelle zurückgreifen können. Frida trennt sich schließlich von Diego, als dieser
mit ihrer Tochter ein Verhältnis beginnt, aus dem sogar ein Kind entsteht. Als Frida von ihrer Tochter verführt wird, versteht
sie Diego – und kommt wieder mit ihm zusammen.
Leonora hatte offenbar aus Versehen in das Erotiksortiment ihres Freundes gegriffen. Was sich von außen besehen wie ein lustiges
Malheur ausnehmen musste, stellte mich vor ein quälendpeinigendes Dilemma. In meiner Rolle als pädagogisches Vorbild fühlte
ich mich geradezu verpflichtet, dem zügellosen Treiben auf dem Bildschirm Einhalt zu gebieten. Nur hatte ich leider keinen
Ersatzfilm dabei, den ich stattdessen hätte zeigen können. Zudem bestand immer noch die – zumindest theoretische – Möglichkeit, |237| dass sich Leonora nicht mit dem Film geirrt hatte. Vielleicht beschäftigte sich die Klasse gerade in Kunst mit sexuellen Stereotypen
im Medium Film. Und ich hatte nicht das Recht, mich in ihren Unterricht einzumischen. Darum entschied ich mich für einen Kompromiss.
Ich blätterte während des Handlungsablaufs ostentativ in meinen Unterlagen und schaute dabei nicht auf. So musste der Eindruck
entstehen, als bekomme ich von all der Wollust nichts mit. Denn wenn ich offiziell gar nicht merkte, dass da ein Sexfilm lief,
konnte man mich dafür auch nicht verantwortlich machen.
Etwa eine halbe Stunde ging das gut, sah man davon ab, dass ich mich ziemlich anstrengen musste, um das Grölen und die unflätigen
Kommentare vor allem der männlichen Schüler zu überhören. Diese waren von der Geschichte dermaßen fasziniert, dass sie meine
Anwesenheit vergessen hatten. Aber nur fast. Plötzlich wurde ich nämlich von einem der Zehntklässler aus meiner Anonymität
gerissen:
«Sie gucken janisch, Herr Serin. Interessiert Sie nisch?»
«Nein!», entgegnete ich, ohne aufzublicken. «Ich hab den Film schon gesehen.»
Ein Raunen ging durch den Raum. Ob eins der Anerkennung, konnte ich nicht erfassen. Die ganze Klasse war auf einmal sehr an
mir interessiert: «Haben Sie mit Frau Sohn geguckt? Haben Sie mit Frau Sohn Sex gemacht?»
«Nein!» Angeekelt wies ich diese Vermutung von mir. Nie käme es mir in den Sinn, etwas mit einer Kollegin anzufangen. Lehrerinnen
waren für mich grundsätzlich tabu.
«Schaun Sie oft Sexfilme?»
«Nein! Nie!»
«Wissen Sie, was Gangbang ist?»
«Natürlich!»
«Wissen Sie nisch!»
|238| «Doch!»
«Dann Sie erklären!»
«Gangbang ist eine Form von Gruppensex, der sich durch eine extreme Überzahl männlicher Teilnehmer und durch abwechselnde
Penetration einer Frau oder eines Mannes auszeichnet. Dagegen sind bei einem Reverse Gangbang die Frauen in der großen Mehrzahl.»
In diesem Moment öffnete sich die Tür, und Frau Gebuhr, die kurz vor der Pensionierung stehende Musiklehrerin, betrat den
Raum, um sich den C D-Player auszuleihen. Auf dem Bildschirm wurde Frida gerade von drei Männern gleichzeitig penetriert, was die Situation für mich etwas
heikel machte.
«Okay», rief ich geistesgegenwärtig. «Verliert bitte euren Arbeitsauftrag nicht aus den Augen! Achtet bitte darauf, ob das
Frauenbild in diesem Film eher emanzipatorisch-feministisch ist oder sexistisch! Achtet dazu besonders auf die Augen! Ihr
wisst, dass ihr im Anschluss einen Test darüber schreibt.»
Frau Gebuhr war aber schon wieder verschwunden. Sie hatte sich nichts anmerken lassen. Bis zum Ende der Stunde blieb mir weiterer
Kollegenbesuch erspart. Trotzdem war ich froh, dass mein Referendariat in einer Woche zu Ende war und ich das
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