Forellenquintett
auffallen können, dann bog auch er ab, hinter sich hörte er die beiden Biertrinker auflachen, er geriet in eine Seitenstraße, an deren Ende eine rußgeschwärzte, geduckte Kirche stand, mit einem kümmerlichen neogotischen Aufsatz, der gerne so getan hätte, als sei er ein himmelhoch ragender Turm.
Du bist Betschwestern nachgelaufen, dachte der Mann, das hättest du eigentlich etwas früher merken können, in diesem Land musst du mit so etwas rechnen. Fast zu spät bemerkte er, dass ihm ein Passant mit einem Hund entgegenkam, der Hund trug einen Maulkorb, aber trotzdem wechselte er rasch über die Fahrbahn auf die andere Straßenseite. Hunde hatte er noch nie leiden können und das Geschnüffel schon gar nicht, was hast du da, was riecht da so? Die Fahrbahn war an manchen Stellen mit grobem Klinker gepflastert, und an anderen war sie asphaltiert, es sah aus, als sei die Straße niemals neu gewesen, sondern immer nur ausgebessert worden.
Er sah sich um und nahm die Plastiktüte in die andere Hand. Der Mann mit dem Hund war um die Ecke gebogen. Niemand schien ihn zu beachten. Die beiden Frauen hatten das Kirchenportal erreicht und verschwanden darin, zuerst die eine im Mäntelchen hineingehuscht, dann die andere nachgewalzt. Das Fragment eines Bibelspruchs tauchte aus seiner Erinnerung auf, wie von einem Suchscheinwerfer erfasst, irgendetwas von Mühseligen und Beladenen, das Fragment verschwand wieder und machte einem Gedanken Platz.
An Rabatten und vom Regen grün gewaschenen Hecken vorbei kam er zum Portal, stieß die Kirchentür auf und schob einen erstickend muffigen Vorhang zur Seite.
D ie Frau, die die Tür des Appartementhauses aufgezogen hatte und nun auf der Schwelle stehen blieb, war groß und schlank und hatte langes, dunkles, von einer einzelnen grauen Strähne durchzogenes Haar. Ihre rechte Hand steckte in der Tasche eines ausgebeulten grauen Jacketts mit Fischgrätmuster, mit der linken Hand hielt sie die Tür geöffnet, während sie sich draußen umsah. In einigen, wenigen Briefkästen steckten Zeitungen, Post war noch nicht gekommen, aber das ging sie nichts an, denn sie hatte schon vor Wochen ihren Briefkasten zugeklebt und das Namensschild entfernt.
Auf den überdachten Vorplatz neben den Briefkästen hatte der Wind ein paar Blätter geweht. Sonst lag da nichts, nicht an diesem Morgen. Schließlich hatte die Frau genug gesehen, sie ging an der hoch gemauerten Gartenböschung vorbei zur Straße. Wieder blieb sie stehen. Die meisten Wagen, die entlang der Straße geparkt waren, kannte sie. Auch die anderen waren nicht auffällig, keine Nummernschilder mit der Zahl 88, aber was hieß das schon!
Der Morgen versprach einen schönen Spätsommertag, wenn sich der Nebel über der Stadt erst aufgelöst haben würde. An der Bushaltestelle wartete ein einzelner Mann, rauchend, unförmig dick, und warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. Der Bus, der von der Universität kam und zum Hauptbahnhof fuhr, war pünktlich und fast leer. Der Dicke nahm einen letzten Zug aus der Zigarette, ehe er sie wegwarf und schnaufend das Trittbrett erklomm.
Die Frau wartete, bis er seinen Körper vollends in den Fahrgastraum gewälzt hatte, und folgte ihm dann. Im Bus saßen ein paar Frauen und zwei oder drei Rentner. Sie setzte sich nicht, sondern blieb an der Ausstiegstür stehen.
Nach zwei Stationen, am Theater, verließ sie den Bus, überquerte die Kreuzung und nahm den Weg durch die Gassen in Richtung Münster, dessen Umrisse allmählich aus dem Nebel hervortraten. Das sah sie freilich erst, als sie durch eine Passage auf den Münsterplatz selbst gelangte. Dort hielt sie sich rechts und kam so zum Eingangstor eines massigen rotbraunen Ziegelbaus, der in der Stadt nur der Neue Bau hieß. Das Tor führte auf einen mit Einsatz- und Zivilfahrzeugen der Polizei voll gestellten Innenhof.
Die Frau betrat den Haupteingang und nickte den beiden uniformierten Beamten zu, die hinter dem mit einer Glasscheibe abgetrennten Tresen saßen, dann stieg sie mit raschen Schritten die Treppe hoch, die zu den Räumen der Kriminalpolizei führte. Wie jeden Morgen schaute sie zuerst bei der Post- und Fernschreibstelle vorbei und wünschte einen guten Tag. Schaufler, der Beamte, der dort Dienst tat, war seit einem Unfall gehbehindert. Trotzdem stemmte er sich hoch und humpelte ihr entgegen, einen Umschlag im DIN-A4-Format in der Hand.
»Ich glaube, die haben sich wieder gemeldet.«
Die Frau nahm den Umschlag entgegen, ohne
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