Fortunas Tochter
Fingernagel einer Frau, hatte eine nicht mehr zu kontrollierende Invasion hervorgerufen, hatte das Gesicht Kaliforniens und die Seele der nordameri– kanischen Nation verändert, wie wenige Jahre später Jacob Todd sich ereifern sollte, der Journalist geworden war.
»Die Vereinigten Staaten wurden von Pilgern, Pionieren und bescheidenen Einwanderern gegründet, mit der Ethik schwerer Arbeit und Tapferkeit im Unglück. Das Gold hat das Schlimmste des amerikanischen Charakters ans Licht gebracht: die Gier und die Gewalt.«
Der Kapitän des Schiffes erzählte ihnen, die Stadt Sacramento sei innerhalb des letzten Jahres aus dem Boden geschossen. Der Hafen lag voller Schiffe verschie– denster Herkunft, hatte gut trassierte Straßen, Häuser und sonstige Gebäude aus Holz, Geschäfte, eine Kirche und eine nicht geringe Anzahl Spielhöllen, Bars und Bordelle, dennoch glich sie der Szene eines Schiffbruchs, denn der Boden war übersät mit Säcken, Ausrüstungen, Werkzeu– gen und jeder Art Unrat, den die Goldsucher in ihrer Hast, zu den Fundorten aufzubrechen, hinterlassen hatten. Große, häßliche schwarze Vögel kreisten über dem Müll, und die Fliegen saßen als dicke Schicht darauf. Eliza rechnete sich aus, daß sie in zwei Tagen den Ort Haus für Haus abgehen konnte: es würde nicht sehr schwierig sein, Joaquín Andieta zu finden. Die Passagiere des Schiffes, jetzt angeregt und freundschaftlich angesichts des endlich erreichten Hafens, teilten die letzten Schlucke Alkohol, verabschiedeten sich mit kräftigem Händedruck voneinan– der und sangen im Chor etwas über eine gewisse Susanna, zu Tao Chi’ens Verblüffung, der eine so schnelle Ver– wandlung nicht begreifen konnte. Er ging mit Eliza vor den anderen von Bord, weil sie wenig Gepäck hatten, und wandte sich ohne Zögern dem chinesischen Viertel zu, wo sie etwas zu essen bekamen und Obdach unter einem Zelt aus gewachster Leinwand. Eliza konnte den auf kantonesisch geführten Unterhaltungen nicht folgen, sie wollte einzig etwas über ihren Liebsten erfahren, aber Tao erinnerte sie daran, daß sie sich still verhalten müsse, und bat sie um Ruhe und Geduld. In derselben Nacht noch mußte der zhong yi sich mit der verrenkten Schulter eines Landsmannes befassen, er rückte den Knochen wieder an seinen gewohnten Platz und gewann damit sofort die Achtung der Umstehenden.
Am folgenden Morgen gingen die beiden auf die Suche nach Joaquín Andieta. Sie stellten fest, daß ihre Reise– gefährten schon aufbruchsbereit waren; einige hatten sich Maultiere zum Transport ihrer Ausrüstung gekauft, aber die meisten gingen zu Fuß und ließen einen guten Teil ihrer Besitztümer zurück. Tao und Eliza fragten sich durch den ganzen Ort, ohne eine Spur von dem Gesuchten zu finden, nur ein paar Chilenen glaubten sich an jemanden dieses Namens zu erinnern, aber der sei schon vor ein, zwei Monaten hier durchgekommen. Sie rieten ihnen, dem Fluß aufwärts zu folgen, vielleicht würden sie so auf ihn stoßen, es sei eben alles Glückssache. Ein Monat war eine Ewigkeit. Niemand führte Buch darüber, wer am Tag zuvor hiergewesen war, fremde Namen oder Schicksale bedeuteten nichts, Gold allein bewegte die Gemüter bis zur Besessenheit.
»Was machen wir jetzt, Tao?«
»Arbeiten. Ohne Geld kann man gar nichts machen«, erwiderte er und warf sich einige Streifen Segeltuch über die Schulter, die er unter den aufgegebenen Resten gefunden hatte.
»Ich kann nicht warten! Ich muß Joaquín finden! Ich habe ein bißchen Geld…«
»Chilenische Reales? Die werden nicht viel nützen.«
»Und die Schmuckstücke, die ich noch habe? Etwas müssen sie doch wert sein…«
»Behalt sie, hier sind sie wenig wert. Ich muß arbeiten, um ein Maultier kaufen zu können. Mein Vater ging als Heiler von Dorf zu Dorf. Ich kann das gleiche machen, aber hier sind die Entfernungen zu groß, ich brauche ein Maultier.«
»Ein Maultier? Wir haben doch schon eins: dich! Was bist du für ein Dickkopf!«
»Nicht so dickköpfig wie du.«
Sie liehen sich Werkzeuge, verbanden Pfähle mit ein paar Brettern und bauten sich eine Bleibe mit den Segeltuchstreifen als Dach, ein ziemlich schwächliches Gebilde, das beim ersten Sturm zusammenfallen würde, aber es schützte sie wenigstens vor dem Nachttau und dem Frühlingsregen. Tao Chi’ens medizinische Kenntnisse hatten sich herumgesprochen, und bald schon kamen chinesische Patienten, die die außerordentliche Begabung dieses zhong yi bezeugten, danach
Weitere Kostenlose Bücher