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Fortunas Tochter

Fortunas Tochter

Titel: Fortunas Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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herrschte ein langes Schweigen im Speisezimmer. Alle drei waren erschöpft. Zum erstenmal im Leben sahen sie sich ohne die Maske der guten Manieren ins Gesicht. Etwas Grundlegendes in ihrem Verhältnis, mit dem heiklen Gleichgewicht eines dreibeinigen Tisches, schien rettungslos zerbrochen; jedoch als Jeremy wieder zu Atem kam, nahmen seine Züge nach und nach die gewohnte undurchdringliche und hochmütige Miene an, während er eine Haarsträhne zurückstrich, die ihm in die Stirn gefallen war, und die verrutschte Krawatte richtete. Da stand Miss Rose auf, ging zu seinem Stuhl und legte ihm von hinten eine Hand auf die Schulter, die einzige Geste der Vertrautheit, die sie zu tun wagte, während ihr Herz schmerzte vor zärtlicher Zuneigung zu diesem einsamen Bruder, diesem schweigsamen, melancholischen Mann, der wie ein Vater zu ihr gewesen war und dem in die Augen zu sehen sie sich nie wirklich getraut hatte.
    Sie erkannte, daß sie nichts von ihm wußte und daß sie ihn in ihrem ganzen Leben noch nie berührt hatte.
    Vor siebzehn Jahren, am Morgen des 15. März 1832, wollte Mama Fresia in den Garten gehen und stieß auf einen gewöhnlichen offenen Seifenkarton aus Marseille, der mit Zeitungspapier zugedeckt war. Neugierig hob sie das Zeitungspapier hoch und entdeckte darunter einen neugeborenen Säugling. Sie lief schreiend ins Haus, und einen Augenblick später beugte Miss Rose sich über das Baby. Sie war damals zwanzig Jahre alt, war frisch und schön wie ein Pfirsich, trug ein topasfarbenes Kleid, und der Wind wehte ihre losen Haare hoch, wie Eliza sich erinnerte oder vorstellte. Die beiden Frauen nahmen den Karton auf und trugen ihn ins Nähstübchen, wo sie das Kind heraushoben, das schlecht und recht in eine wollene Weste gewickelt war. Es konnte nicht lange in der Kälte gestanden haben, schlossen sie, denn obwohl an diesem Morgen ein steifer Wind wehte, war der winzige Körper warm, und es schlief friedlich. Miss Rose schickte Mama Fresia, eine saubere Decke, Laken und eine Schere zu holen, um behelfsmäßige Windeln zurechtzuschneiden. Als Mama Fresia zurückkam, war die Weste verschwun– den, und das nackte Neugeborene schrie in Miss Roses Armen.
    »Ich habe die Weste sofort erkannt. Ich hatte sie im Jahr davor für John selbst gestrickt. Ich versteckte sie, weil du sie auch wiedererkannt hättest«, erklärte sie Jeremy.
    »Wer ist Elizas Mutter, John?«
    »Ich erinnere mich nicht an ihren Namen…«
    »Du weißt nicht, wie sie heißt? Wie viele Bastarde hast du rund um die Erde ausgesät?« rief Jeremy aus.
    »Sie war ein Mädchen vom Hafen, eine junge Chilenin, sehr hübsch, wie ich mich erinnere. Ich habe sie nie wiedergesehen und wußte nicht, daß sie schwanger wurde. Als Rose mir später die Weste zeigte, erinnerte ich mich, daß ich sie dem jungen Mädchen am Strand umgehängt hatte, weil es kalt war, und dann vergaß, sie zurückzu– nehmen. Du mußt verstehen, Jeremy, so ist das See– mannsleben. Ich bin kein Unmensch…«
    »Du warst betrunken.«
    »Das ist möglich. Als ich begriff, daß Eliza meine Tochter ist, habe ich versucht, die Mutter ausfindig zu machen, aber sie war verschwunden. Vielleicht ist sie tot, ich weiß es nicht.«
    »Aus irgendeinem Grund wollte diese Frau damals unbedingt, daß wir das Kind aufziehen, Jeremy, und ich habe nie bereut, daß ich es tat. Wir haben ihr Liebe, ein gutes Leben, eine Erziehung gegeben. Vielleicht konnte die Mutter ihr nichts mitgeben, deshalb brachte sie uns Eliza in die Weste gewickelt, damit wir wüßten, wer der Vater ist.«
    »Das ist alles? Eine schmuddlige Weste? Das beweist absolut nichts! Jeder kann der Vater gewesen sein. Diese Frau hat sich das Kind mit kluger Berechnung vom Halse geschafft.«
    »Ich hatte gefürchtet, daß du so reagieren würdest, Jeremy. Ebendeshalb habe ich dir damals nichts gesagt«, erwiderte seine Schwester.
    Drei Wochen nachdem Eliza sich von Tao Chi’en verabschiedet hatte, war sie mit fünf Miners dabei, an den Ufern des American River Gold zu waschen. Sie war nicht alleine geritten. An dem Tag, an dem sie Sacramento verließ, schloß sie sich einer Gruppe Chilenen an, die auf dem Weg zu den Fundstätten waren. Sie hatten Reittiere gekauft, aber keiner verstand etwas von dieser Art Geschöpfe, und die mexikanischen Rancheros wußten das Alter und die Mängel der Pferde und Maultiere geschickt zu kaschieren, etwa indem sie kahle Stellen übermalten und Mittel ins Futter mischten, die kurzzeitig munter

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