Fortunas Tochter
Gedächtnis behielt, flocht ihr Zöpfe und zog ihr wunderhübsche Kleidchen an, aber kaum tauchte eine andere Zerstreuung auf oder ihre Kopfschmerzen meldeten sich, schickte sie sie in die Küche zu Mama Fresia. Das Kind wuchs auf zwischen dem Nähstübchen und den rückwärtigen Hof räumen, sprach Englisch in einem Teil des Hauses und im anderen eine Mischung aus Spanisch und Mapuche, der Indiosprache ihrer Kinderfrau, war den einen Tag angezogen wie eine kleine Herzogin und spielte den andern Tag barfuß und mit einer Schürze nur dürftig bekleidet mit den Hühnern und den Hunden.
Miss Rose präsentierte sie auf ihren musikalischen Abendgesellschaften, nahm sie in der Kutsche mit zur Schokolade in der besten Konditorei, zu Einkäufen oder zum Anschauen der Schiffe im Hafen, aber ebenso konnte sie auch mehrere Tage hintereinander damit verbringen, tief versunken in ihre geheimnisvollen Hefte zu schreiben oder einen Roman zu lesen, ohne an ihren Schützling zu denken. Wenn ihr dann Eliza wieder einfiel, sprang sie schuldbewußt auf und lief, sie zu suchen, überschüttete sie mit Küssen, stopfte sie mit Näschereien voll, zog ihr wieder ihren Puppenputz an und fuhr mit ihr spazieren. Sie bemühte sich, ihr eine so umfassende Bildung wie nur möglich zukommen zu lassen, ohne die einer Señorita angemessenen Fertigkeiten zu vernachlässigen. Als Eliza einmal wütend mit dem Fuß aufstampfte - es ging um das Üben einer Klavierlektion -, packte sie sie beim Arm, und ohne auf den Kutscher zu warten, zerrte sie sie eine Meile hügelabwärts zu einem Kloster. Über dem schweren, mit Eisen beschlagenen Eichenportal las man die unter dem salzigen Seewind verblaßten Worte: »Haus der Findelkinder«.
»Sei froh und dankbar, daß mein Bruder und ich dich aufgenommen haben. Hier werden die unehelichen und die ausgesetzten Kinder untergebracht. Möchtest du etwa gerne hierher?«
Stumm schüttelte das Kind den Kopf.
»Dann ist es wohl besser, du lernst Klavierspielen wie ein braves Mädchen. Hast du mich verstanden?«
Eliza lernte Klavierspielen, zwar ohne Talent oder Feingefühl, aber durch »immer tüchtig üben« konnte sie mit zwölf Jahren Miss Rose auf den musikalischen Abendgesellschaften begleiten. Diese Fertigkeit ging ihr nie verloren, obwohl sie sie lange Zeit nicht ausübte, und manches Jahr später konnte sie sich damit in einem Wanderbordell ihr Brot verdienen, ein Ziel, das freilich Miss Rose nie in den Sinn gekommen war, als sie sich bemühte, ihr die edle Kunst der Musik beizubringen.
Viele Jahre später, an einem der stillen Nachmittage, an denen Eliza mit ihrem Freund Tao Chi’en plaudernd und chinesischen Tee trinkend in dem lieblichen Garten saß, um den sie sich beide kümmerten, kam sie zu dem Schluß, daß jene absonderliche Engländerin eine sehr gute Mutter gewesen war, und sie war ihr dankbar für die großen inneren Freiräume, die sie ihr gewährt hatte.
Mama Fresia war die zweite Stütze ihrer Kindheit. Sie hängte sich an ihre weiten schwarzen Röcke, leistete ihr bei den häuslichen Arbeiten Gesellschaft und machte sie nebenbei verrückt mit tausend Fragen. So wurde sie mit Legenden und Mythen der Indios vertraut, lernte die Merkmale der Tiere und die Sturmzeichen des Meeres kennen ebenso wie die Gewohnheiten der Geister und die Botschaften der Träume, und lernte sogar kochen.
Dank ihrem unfehlbaren Geruchssinn war sie imstande, mit geschlossenen Augen Zutaten, Kräuter und Gewürze zu unterscheiden und sich augenblicklich zu erinnern - genau wie sie Gedichte im Gedächtnis behielt -, welche man wozu verwendete. Schon bald verloren die komplizierten einheimischen Gerichte Mama Fresias und die leckere Kuchenbäckerei von Miss Rose ihr Geheimnis. Sie besaß eine seltene kulinarische Begabung, und als Siebenjährige konnte sie, ohne sich zu ekeln, einer Ochsenzunge die Haut abziehen oder ein Huhn ausnehmen, konnte den Teig für zwanzig Empanadas kneten, ohne zu ermüden, und ganze Stunden mit dem Aushülsen von Bohnen verbringen, während sie mit offenem Mund den grausamen Indiolegenden Mama Fresias lauschte oder ihren farbigen Darstellungen vom Leben der Heiligen.
Rose und ihr Bruder John waren von ihrer Kindheit an unzertrennlich gewesen. Sie strickte im Winter Pullover und Strümpfe für den Kapitän, und er scheute keine Mühe, um ihr von jeder Fahrt Koffer voller Geschenke mitbringen zu können und große Kisten mit Büchern, von denen mehrere unter Verschluß in Roses Schrank
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