Foundation 02: Die Stahlhöhlen
einem anderen Raum, und der
Kontrast zwischen der Beleuchtung, den Möbeln und der
Wanddekoration war dazu angetan, einen schwindelig zu machen.
Baley begann: »Ich möchte das Thema der Tötung von
Dr. Rikaine Delmarre im Hinblick auf Motiv, Gelegenheit und Tatwaffe
diskutieren, und zwar in dieser Reihenfolge…«
Attlebish unterbrach ihn: »Wird das eine lange
Rede?«
Baley sagte scharf: »Vielleicht. Man hat mich hierhergerufen,
um in einem Mordfall zu ermitteln, und eine solche Aufgabe ist meine
Spezialität und mein Beruf. Ich weiß am besten, wie man
das anstellt.« (Du darfst dir jetzt nichts von ihnen gefallen
lassen, dachte er – oder das funktioniert nicht. Du mußt
dominieren! Dominieren!)
Er fuhr fort, darum bemüht, seine Worte so scharf und
schneidend klingen zu lassen, wie das nur gerade ging.
»Zunächst das Motiv. In gewisser Hinsicht ist das Motiv von
den drei Themen am wenigsten befriedigend. Gelegenheit und Tatwaffe
sind objektiv; man kann sie faktisch ermitteln. Ein Motiv ist etwas
Subjektives; möglicherweise ist es etwas, das von anderen
beobachtet werden kann: beispielsweise Rache für eine erlittene
Erniedrigung oder dergleichen. Aber ebensogut kann es sein, daß
man es überhaupt nicht beobachten kann; ein irrationaler,
mörderischer Haß seitens einer wohldisziplinierten Person,
die sich nie etwas davon hat anmerken lassen.
Nun haben Sie mir fast alle zu dem einen oder anderen Zeitpunkt
gesagt, daß Ihrer Ansicht nach Gladia Delmarre das Verbrechen
begangen hat. Niemand hat jemand anderen verdächtigt. Hat Gladia
ein Motiv? Dr. Leebig hat eines vorgeschlagen. Er sagte, Gladia
hätte häufig mit ihrem Mann gestritten, und Gladia hat das
später mir gegenüber zugegeben. Die Wut, die sich in einem
Streit entwickelt, kann jemanden durchaus dazu bringen, einen Mord zu
begehen. Nun gut.
Es bleibt nur die Frage, ob sie die einzige ist, die ein Motiv
hat. Das frage ich mich. Dr. Leebig selbst…«
Der Robotiker wäre beinahe aufgesprungen. Seine Hand streckte
sich starr in Richtung auf Baley aus. »Passen Sie auf, was Sie
sagen, Erdenmensch!«
»Ich stelle nur theoretische Erwägungen an«, sagte
Baley kühl. »Sie, Dr. Leebig, haben mit Dr. Delmarre an
neuen Roboter-Modellen gearbeitet. Sie sind der beste Mann in Solana,
wenn es um Roboter geht. Sie selbst haben das gesagt, und ich glaube
es.«
Leebig lächelte in unverhohlener Herablassung.
Und Baley fuhr fort: »Aber ich habe gehört, daß
Dr. Delmarre im Begriff war, die Beziehungen zu Ihnen abzubrechen,
wegen etwas an Ihnen, das er mißbilligte.«
»Falsch! Falsch!«
»Vielleicht. Aber was, wenn es wahr wäre? Hätten
Sie dann nicht ein Motiv, ihn zu beseitigen, ehe er Sie in aller
Öffentlichkeit beschämte, indem er mit Ihnen bricht? Ich
habe das Gefühl, daß Sie eine solche Erniedrigung nicht
leicht ertragen könnten.«
Baley redete schnell weiter, um Leebig keine Gelegenheit zum
Einspruch zu geben. »Und Sie, Mrs. Cantoro? Dr. Delmarres Tod
hat dazu geführt, daß Sie jetzt die Leitung der Baby-Farm
haben; eine sehr verantwortungsvolle Position.«
»Du lieber Himmel! Darüber haben wir doch
ausführlich geredet!« rief Klorissa besorgt.
»Ich weiß, daß wir das getan haben. Aber es ist
ein Punkt, der bedacht werden will. Was Dr. Quemot angeht, so hat er
regelmäßig mit Dr. Delmarre Schach gespielt. Vielleicht
hat er sich darüber geärgert, daß er so viele Partien
verloren hat.«
Der Soziologe unterbrach ihn ruhig: »Eine Schachpartie zu
verlieren, ist doch ganz sicher kein hinreichendes Motiv für
einen Mord, Detektiv.«
»Das hängt davon ab, wie ernst Sie ihr Schachspiel
nehmen. Für den Mörder kann ein Motiv die ganze Welt
bedeuten, während es für jeden anderen völlig
belanglos ist. Aber das ist jetzt nicht wichtig. Worauf ich
hinauswill, ist, daß das Motiv alleine nicht reicht. Jeder kann
ein Motiv haben, insbesondere für die Ermordung eines Mannes wie
Dr. Delmarre.«
»Was meinen Sie mit dieser Bemerkung?« wollte Quemot
indigniert wissen.
»Nun, nur daß Dr. Delmarre ein ›guter
Solarianer‹ war. Sie alle haben ihn als solchen geschildert. Er
erfüllte alle Erfordernisse der solarianischen Sitten und
Gebräuche auf das peinlichste. Er war ein idealer Mann, fast
eine Abstraktion. Wer könnte Liebe, ja sogar Zuneigung für
einen solchen Menschen empfinden? Ein Mensch ohne Schwächen
macht nur allen anderen die eigenen Unvollkommenheiten bewußt.
Ein primitiver Poet namens Tennyson hat einmal
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