Foundation 08: Foundation
bis zu Revolutionen.
Durch graphische Darstellung dieses Verhaltens über einen
längeren Zeitraum hinweg stellten sie fest, daß die
Übernahme und die Nutzung von Innovationen mathematischen
Gesetzen folgt, die analog zu denen von Epidemien sind (Abb. 15).
Angenommen, p sei der Teil einer Gesellschaft, der mit einem
bestimmten Mem ›infiziert‹ ist; und weiterhin angenommen,
daß Angehörige der Gesellschaft über gemeinsame
Kommunikationskanäle dauernd miteinander in Verbindung stehen.
›Angehörige‹ können Menschen, Organisationen (wie
beispielsweise Industrieformen) oder Nationen/Staaten sein.
(Beispiele sind: die Verbreitung des
›Bezahlten-Urlaubs-Mems‹ in der Wirtschaft oder des
›Schulpflicht-Mems‹ oder des ›Briefmarken-Mems‹
in den westlichen Nationen.) Sobald ›Nicht-Tuer‹ auf
›Tuer‹ stoßen, besteht eine Wahrscheinlichkeit k,
daß der Nicht-Tuer sich mit dem Verhalten ›ansteckt‹,
mit anderen Worten, daß
dp/dt = kp(1-p)
was sich zu einer e-Funktion integriert, die jener ähnlich
ist, die Ansteckungskrankheiten wie die Masern beschreibt. Die
verfügbaren Daten über kulturelle Diffusion deuten an,
daß die e-Funktion dem in den meisten Fällen gut
entspricht.
Verhaltensweisen können sich auch durch den Kontakt mit einer
zentralen Informationsquelle ausbreiten (z. B. ›Analog‹,
Fachzeitschriften, Regierungsveröffentlichungen u. dgl.). Hier
liegt eine Analogie zu Umweltseuchen wie Cholera vor. In solchen
Fällen paßt eine abflachende Exponentialkurve besser.
(Interessanterweise passen dieselben Kurven, die auf die Zahl
korrekter Antworten beim Lernen einer Aufgabe oder der Seitenzahl
beim Wachstum von Behördenvorschriften gelten; auch auf den
Prozentsatz ›moderner‹ Eigenschaften in fossilisierten
Gattungen. Man kann sagen, eine Spezies ›lernt‹, modern zu
sein, indem sie erfolgreiches Verhalten ›imitiert‹! Ist
punktuelles Gleichgewicht eine Folge der Lerntheorie?)
Abbildung 15: Die e-Funktion paßt zu einer Vielzahl
von Wachstumssituationen für lebende Systeme. In der Biologie:
dem Wachstum eines Organismus; dem Wachstum einer Population; der
Evolution einer Spezies. In der Kultur: dem Wachstum einer
Institution; der Häufigkeit eines Verhaltens
(›Lernkurve‹); der Verbreitung einer Verhaltensweise in
einer Bevölkerung; dem Gebrauch, der Intensivierung, der
Evolution einer Idee (z. B. der kumulierten Zahl modifizierender
Patente zu einer Grundlagenerfindung). In der Abbildung werden einige
Beispiele dargestellt. Weitere Beispiele siehe Hamblin et al. und
Dewey und Dakin in der Memographie am Schluß dieses
Artikels.
Die Vorstellung, Verhaltensweisen seien wie Epidemien (und Ideen
wie Viren), ist bestechend (vgl. Keith Henson, Memetics and the
Modular Mind, in ›Analog‹, Aug. 1987). Aber keineswegs
neu. Lewis Richardson schrieb 1946 in Mathematics of War and
foreign Politics, »der Eifer, Kriege zu führen…
kann als Geisteskrankheit angesehen werden, die von denjenigen, die
sich die Krankheit bereits zugezogen haben, an jene anderen
übertragen wird, die in aufnahmefähiger Stimmung
sind…« Er entwickelte sogar eine Gleichung, die der
Hamblins gleicht. Man könnte sagen, daß Meme zwar in
Hinblick auf die Gesellschaft als Ganzes wie Gene sind, vom
Standpunkt des Individuums aus betrachtet dagegen wie Viren. Im
Lichte von Dr. Millers Living-Systems-Theorie wird ein großer
Teil der Mathematik, der Genetik und der Epidemiologie eines Tages in
das Studium des gesellschaftlichen Wandels einbezogen werden
müssen.
Für die Ausbreitung von Memen gibt es auch ein
geographisches, oder, wenn man so will, räumliches Element. Wir
sind davon ausgegangen, daß die Angehörigen einer
Gesellschaft über gemeinsame Kommunikationskanäle dauernd
miteinander in Verbindung stehen. Vor der Erfindung der Telegrafie
bedeutete das Kontakt von Angesicht zu Angesicht. Meme zirkulierten
mit den reisenden Menschen, insbesondere denen, die sich mit dem
Handel befaßten. Rashevsky hat für diesen Prozeß ein
mathematisches Modell entwickelt. Er drückte die Zahl der
Reisenden, als eine Funktion von (unter anderen Faktoren) w2 aus,
wobei w das Produkt aus der Geschwindigkeit und der
Beförderungskapazität der Transport-Technik ist; das
heißt, wie viel kann wie schnell befördert werden. (So
etwas Ähnliches wie Kulturmoment.) Da Schiffe mehr Ware
schneller als Karren befördern konnten, folgert daraus,
daß Regionen mit gutem Zugang zu Flüssen und Küsten
ein
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