Foundation 08: Foundation
Veränderungen in den
Parametern führen zu plötzlichen ›unstetigen‹
Veränderungen im Zustand der Gesellschaft (bei Punkt 6).
Renfrew fügte anschließend noch zwei weitere
Kontroll-Variable hinzu (›Verwandtschaft‹ und
›äußere Drohung‹), und erzeugte damit die
mehrdimensionale Schmetterlings-Katastrophe, deren Hyperfläche
eine Tasche enthält. Die Tasche entspricht in diesem Beispiel
stabilen Häuptlingstümern, einem Niveau sozialer
Komplexität, das zwischen der Stammesorganisation und der eines
Staates liegt.
2. Politische Ideologien: E. C. Zeeman hat ein Cusp-Modell
politischer Ideologien entwickelt. Die beiden Parameter A und B waren
wirtschaftlich (Chance gegen Gleichheit) und politisch (die Rechte
des Individuums gegen die Rechte der Gruppe). Der Zustandsraum war
eine ›Punktewolke‹, die die Meinungen der Individuen in der
Gesellschaft darstellte. (Diese lassen sich, zumindest theoretisch,
durch Meinungsumfragen messen.) Die Wolke war topologisch in einen
eindimensionalen Raum Y eingebettet, die sich als das traditionelle
›Links-Rechts‹-Spektrum der Politik erwies. Zeemans
Katastrophenoberfläche zeigt, weshalb diese einfache Linie in
Wirklichkeit eine komplexe ›Anatomie‹ aufweist (Abb. 13).
Projiziert man diese Oberfläche auf die AY- und BY-Ebenen, so
ist zu erkennen, warum zwischen Linksdiktaturen und solchen der
Rechten so große Ähnlichkeit besteht und weshalb
Populisten des rechten Flügels so häufig wie solche des
linken Flügels klingen. Es zeigt auch auf, warum manche
gesellschaftlichen Veränderungen revolutionär sein müssen und warum Ein-Parteien-Staaten häufig
innerhalb der Partei rechte und linke Flügel entwickeln.
Wir haben gesehen, daß zivilisatorische Prozesse wenigstens
im Prinzip einer mathematischen Analyse und modellhafter Betrachtung
unterworfen werden können. Diese Werkzeuge der exakten
Wissenschaft scheinen also keineswegs ungeeignet zu sein, sondern
erweisen sich als erstaunlich brauchbar. Die Übersetzung
zivilisatorischer Theorien in ein rigoros überprüfbares Format – etwas, das gewöhnlich den ›weichen‹
Wissenschaften fehlt – könnte sich hier als
äußerst nützlich erweisen.
Aber auch die ausgefeilteste Mathematik ist steril. Wir brauchen
auch eine Theorie, um sie zu stützen. Dies führt zu den
zwei Grundaxiomen, die in Teil II behandelt werden.
Abbildung 13: Ein topologisches Modell politischer
Ideologien. Die Form der Katastrophenoberfläche ist eine
Konsequenz der beiden Parameter (politisch und wirtschaftlich) und
von Thoms Theorem. Der Zustandsraum (vertikale Achse) ist eine
eindimensionale Einbettung eines multidimensionalen
›Meinungsraums‹ und entspricht der traditionellen
politischen ›Linksrechts‹-Achse, die auf der Sitzordnung
des Parlaments der dritten Französischen Republik basiert
(Monarchisten rechts, Republikaner links).
Zweiter Teil
DIE BIOLOGIE DER GESCHICHTE
»Du weißt gar nicht, mein lieber junge, mit
wie wenig Vernunft die Welt regiert wird.«
Graf Axel Oxenstierna
Biologie und Zivilisation sind eng verwandt. Eine
menschliche Gemeinschaft ist zumindest eine biologische Population,
die verschiedenen ökologischen Gesetzen unterworfen ist. Aber
daneben gibt es auch strukturelle Parallelen oder Analogien. Adam
Smith und Karl Marx haben sich bei der Entwicklung ihrer
Wirtschaftstheorien stark auf biologische Analogien gestützt,
und Charles Darwin hat den Begriff der Evolution durch
natürliche Auswahl ausdrücklich von Adam Smith
übernommen. *
Die Geschichte selbst stellt eine Analogie zur biologischen
Morphogenese dar. Beide befassen sich mit der Entwicklung von
Struktur innerhalb eines Systems. Genetisch identische Zellen
differenzieren sich in Nervenzellen, Muskelzellen etc. und werden zu
komplexen Organismen mit vielen spezialisierten Organen. In
ähnlicher Weise haben sich Sammler/Jäger in Priester,
Könige, Metallbearbeiter etc. differenziert und komplexe Staaten
mit vielen spezialisierten Einrichtungen entwickelt. Sind die
Mechanismen in beiden Fällen analog?
In seinem Buch Living Systems vergleicht der Biologe James
Miller Zellen, Organe, Organismen, Organisationen und Nationen; und
gelangt zu dem Schluß, alle ›lebenden Systeme‹
besitzen eine gemeinsame Struktur (vgl. Robert A. Freitas, A
General Theory of Living Systems, ›Analog‹, März
1980). Alle bestehen aus neunzehn lebensnotwendigen Subsystemen, die
Information und/oder Materie/Energie verarbeiten. Eine
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