Fräulein Else - Novelle
im Garten spazierengehen. Oder auf den Maskenball mit Rudi. Grüß dich Gott, Else. Ach Bertha, bist du wieder aus Neapel zurück? Ja, aus Sizilien. Erlaube, daß ich dir meinen Mann vorstelle, Else. Enchanté, Monsieur. – „Else, hörst du mich, Else? Ich bin es, Paul.“ – Haha, Paul. Warum sitzest du denn auf der Giraffe im Ringelspiel? – „Else, Else!“ – So reit' mir doch nicht davon. Du kannst mich doch nicht hören, wenn du so schnell durch die Hauptallee reitest. Du sollst mich ja retten. Ich habe Veronalica genommen. Das läuft mir über die Beine, rechts und links, wie Ameisen. Ja, fang' ihn nur, den Herrn von Dorsday. Dort läuft er. Siehst du ihn denn nicht? |135| Da springt er über den Teich. Er hat ja den Papa umgebracht. So lauf' ihm doch nach. Ich laufe mit. Sie haben mir die Bahre auf den Rücken geschnallt, aber ich laufe mit. Meine Brüste zittern so. Aber ich laufe mit. Wo bist du denn, Paul? Fred, wo bist du? Mama, wo bist Du? Cissy? Warum laßt Ihr mich denn allein durch die Wüste laufen? Ich habe ja Angst so allein. Ich werde lieber fliegen. Ich habe ja gewußt, daß ich fliegen kann.
„Else!“ …
„Else!“ …
Wo seid Ihr denn? Ich höre Euch, aber ich sehe Euch nicht.
„Else!“ …
„Else!“ …
„Else!“ …
Was ist denn das? Ein ganzer Chor? Und Orgel auch? Ich singe mit. Was ist es denn für ein Lied? Alle singen mit. Die Wälder auch und die Berge und die Sterne. Nie habe ich etwas so Schönes gehört. Noch nie habe ich eine so helle Nacht gesehen. Gib mir die Hand, Papa. Wir fliegen zusammen. So schön ist die Welt, wenn man fliegen kann. Küss' mir doch nicht die Hand. Ich bin ja dein Kind, Papa.
|136| „Else! Else!“
Sie rufen von so weit! Was wollt Ihr denn? Nicht wecken. Ich schlafe ja so gut. Morgen früh. Ich träume und fliege. Ich fliege … fliege … fliege … schlafe und träume … und fliege … nicht wecken … morgen früh …
„El
…“
Ich fliege … ich träume … ich schlafe … ich träu … träu – ich flie … …
Z U DIESER A USGABE
Z UR T EXTGESTALT
Am 8. August 1921 gibt es im Tagebuch von Arthur Schnitzler (1862-1931) unter dem Stichwort „Else“ eine erste Erwähnung für eine geplante Novelle. Ein gutes Jahr später, im September 1922 – der Autor arbeitet gleichzeitig an der Traumnovelle (vgl. dtv Bibliothek der Erstausgaben, 2673), die noch unter dem Titel „Doppelnovelle“ geführt wird – beginnt die Ausarbeitung. Von Anfang an möchte er sich auch hier der „Gustl-Technik“ bedienen (vgl. Lieutenant Gustl , dtv Bibliothek der Erstausgaben, 2690). Im Dezember 1922 und im Januar 1923 intensiviert sich diese Arbeit und am 18. April 1923 ist eine erste Fassung der Monolognovelle Fräulein Else fertig: „Vm. [Vormittag] dictirt ‚Else‘ zu Ende (vorläufig)“.
Neben der Rohfassung der Traumnovelle und der vorläufigen Fassung von Fräulein Else notiert sich Schnitzler im Laufe des Jahres 1923 erste Ideen zu einer weiteren Novelle, die dann schießlich den Titel Spiel im Morgengrauen erhalten wird (vgl. dtv Bibliothek der Erstausgaben, 2686). Als er am 25. September 1923 das Manuskript von Fräulein Else wieder zur Hand nimmt, kann er mit einer gewissen Selbstzufriedenheit feststellen: „Nm. [Nachmittag] sah ich die Nov. ‚Else‘ durch, die recht gelungen ist“. Während er an der Rohfassung der Traumnovelle unentwegt weiterfeilt und bis ins Jahr 1924 mit dem Schluss der Leutnantsnovelle Spiel im Morgengrauen ringt, bleibt er hinsichtlich der Einschätzung der Monolognovelle in seinem Urteil relativ beständig. Fräulein Else wird unter den drei im Frühjahr 1924 mehr oder weniger fertig vorliegenden Novellen in Bezug auf eine Drucklegung das Rennen machen. Nach einer nochmaligen Überarbeitung im Mai und Juni 1924 geht das Manuskript nach Vertragsabschluss am 22. Juli 1924 mit dem Zsolnay Verlag – Schnitzler war wegen einer Kürzung seiner Tantiemen über seinen Verleger Samuel Fischer ziemlich verstimmt – in Satz und Druck. Im Oktober 1924 erscheint die Novelle im Vorabdruck in der Neuen Rundschau (Jg. 35, Heft 10) und macht „überall stärkste Wirkung“ (Tagebuch 31.
10.
1924). Leicht zeitversetzt erscheint dann die Buchausgabe im Wiener Verlag von Paul Zsolnay, in dem sich Schnitzler laut Tagebuch vom 25. November 1924 höchstpersönlich die „ersten Else Ex. mitgenommen“ hat.
Der Text unserer Ausgabe von Arthur Schnitzlers Fräulein Else folgt dieser im Verlag
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