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Fraeulein Stark

Titel: Fraeulein Stark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Huerlimann
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und rülpst leise, die Stille ist heilig, niemand will die Lesenden stören, weshalb es ziemlich lange dauerte, bis mich die Hilfsbibliothekare bemerkten. Das langsame Geklapper wurde dünner, dann setzte es aus. Ein Kopf nach dem andern drehte sich in meine Richtung. Vize Storchenbein fragte: Gehst du heute von Bord;
    Ja, antwortete ich.
    Viel Glück, alter Knabe.
    Auch das wurde leise gesagt, eher geflüstert, und schon ließen sie ihre Köpfe wieder sinken, die einen, um die Tasten ihrer Remington zu betrachten, die andern, um ihr Nickerchen fortzusetzen.
    Vor dem Scriptonum wartete das Fräulein. Sie trug ihre Sonntagsbluse aus Crepe de Chine und einen Faltenrock, den ich zum ersten Mal an ihr sah. Der kleine Katz, dachte ich, hätte wohl sein Leben riskiert, um einen Blick unter dieses dämmrige Zelt zu werfen, aber Katz war tot, und das Fräulein schien es zu wissen. Sie begleitete mich vor das Tabularium, und bevor ich klopfen konnte, drückte sie mir ihren Daumen auf die Stirn und zeichnete ein Kreuz. Täuschte ich mich, oder hatte sie tatsächlich Tränen? Ich wandte mich ab.
    Venite!
    Und trat ein.
    Alles wie immer. Das Haupt des Onkels schwebte planetengleich über der Lupe, unter der er seinen Wüstenvater verfolgte, den armen Wahnsinnigen, der sich in Paläste zu retten versuchte, die er selbst, vielmehr sein Wahnsinn, in den Wüstensand gewundert hatte. Ich bin dagegen, sagte der Onkel, ohne aufzusehen, und dabei bleibt es.
    Ich räusperte mich.
    Nein, Liebe. Roma locuta, causa finita, ich will keinen Kiosk,
    punctum, finis.
    Ganz deiner Meinung, Onkel.
    Er sah auf. Ach, du bist es. Worum geht’s?
    Ich möchte adieu sagen.
    Er schraubte seinen Federhalter in die Hülse und legte ein gelbes,
    engbeschriebenes Fähnchen zwischen die Seiten. Reichts noch für einen Letzten im »Porter«?
    Um elf geht mein Zug.
    Nunu, er zückte seine Taschenuhr, dann ist es wohl zu spät.
    Ja, Onkel. Bene sit tibi futurus.
    Futurum, korrigierte er mich und beugte sich wieder über die Lupe, einen lateinischen Spruch murmelnd, vielleicht einen Segens—oder Adieuwunsch, doch wußte ich nicht, ob er mir gelten sollte oder dem Wüstenvater auf den gelblich gefleckten Pergamentseiten des uralten, handgeschriebenen Buches. Ich zog die linke Braue in die Stirn, er ahmte mich nach, da grinsten wir beide. Ja, ganz konnten wir unser Geschlecht nicht wegschummeln. Die Katzenbraue stand in die Stirn hinauf wie ein Seidenstrumpf, den ein Strapsbändelchen am Oberschenke! in die Höhe zurrt.
    Als ich die Tür geschlossen hatte, blieb ich eine Weile stehen. Drückte sich die Stark vor dem Adieu: Oder war sie bereits mit ihrem Kiosk beschäftigt: Leblos hingen die Arme des Türhüters herab, und die weißen Clownshandschuhe krümmten die Finger ein wenig nach hinten, gerade so, als hielte er in seinem Rücken einen unsichtbaren Sargdeckel auf. Der Herbstwind sprühte Tropfen gegen die Scheiben. Ich öffnete den Hemdkragen zu einem V, warf den Schal über die Achsel und überlegte, ob ich hier oder erst auf dem Bahnhof meine erste Zigarette anzünden sollte, eine Parisienne ohne Filter, die ich dem Onkel geklaut hatte. Auf dem Perron, entschied ich. Mach, daß du endlich fortkommst. Wie üblich tönten aus dem Scriptorium die Remingtons, und ihr plingloses Geklopfe, das wußte ich inzwischen, würde die Zeit nicht totschlagen, sondern ins Unendliche verlängern. Nein, ihr armen Schreiber, der letzte Tag wird euch nicht als Sieger finden, nicht einmal als Kämpfer, dachte ich, nahm mit Schwung den Koffer, zog selber den Riegel auf, stieg von Bord und fuhr in einem Taxi, das das Fräulein für mich herbeitelephoniert hatte, zum Bahnhof. Was sind schon acht Jahre, sagte ich mir. Die wirst du absitzen, wie du diesen Sommer abgesessen hast, und dann, alter Knabe, kann das Leben beginnen, pulcher et speciosus ! Finis .

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