Fraeulein Stark
sie mit ihrem Madonnenlächeln, die Katzen haben immer Handel getrieben, mal mit Stoffen, mal mit Nunu-Zeug.
Fräulein Stark, schrie der Onkel, außer sich vor Wut, rot am ganzen Kopf, davon will ich nichts mehr hören, nie mehr, kapiert?!
Aber die erste Post, die ich in der Klosterschule erhielt, war eine Ansichtskarte des Barocksaals der Stiftsbibliothek und stammte aus dem Kiosk, den das Fräulein erwartungsgemäß durchgesetzt hatte. Das Geschäft laufe zunehmend besser, hatte eine fremde Hand geschrieben, man verkaufe schwarze Liköre, natürlich aus dem Appenzellerland, Nußgipfel, Kaffee und hie und da sogar eine Broschüre von Monsignore. Ich stellte mir vor, wie sie
madonnengleich hinter ihrer Lade thronen würde, den grasgrünen Jäger keck vor dem Knoten, Krausen an den Ärmeln, am Hals, am Busen, und da erst entdeckte ich, daß sie selber unterschrieben hatte, mit einer girlandenartig eine hauchdünne Bleistiftlinie umrankenden Kinderschrift: Frl. Stark.
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Als ich die Karte erhielt, war es längst wieder Frühling geworden, draußen blaute cm lauer Mai, von den übervollen Dachtraufen tropfte das Tauwasser, im Innern jedoch, in den Gängen und Sälen der Klosterschule, herrschte nach wie vor ein strenger Winter. Unser Präfekt verteilte einmal in der Woche die Post, doch sagte er nicht Post, sondern Pöst, nicht Woche, sondern Wöche, nicht verlogen, sondern verlögen. Jedes O ersetzte er durch ein Ö, jedes U durch ein Ü und zögerte einer von uns, im Duschkeller unter den Wasserstrahl zu treten, sprach der Fromme: Ob er vielleicht ein Jüd ist, der befürchtet, wir könnten ihn heimlich taufen wollen?
Dann lachten die andern. Man mußte lachen. Und der Fromme, wie immer ein Mariengebet flüsternd, zog sich in die Dampfwolke zurück, um die Dusche von heiß auf kalt zu drehen. Auf eiskalt. So lernten wir, gern in die Kutten zu schlüpfen. Auch ich lernte es, und das satte, genußforsche Lachen, wenn sich ein vermeintlicher Jüd vor der Dusche zu drücken versuchte, lernte ich auch.
Hatte mein Onkel doch recht: Nomina ante res? Ich vermute es fast. Bevor wir geboren werden, ist unser Garn gesponnen, der Stoff gewoben, die Nase krumm, der kleine Katz getötet und der Klosterschüler im Namen des Vaters obenauf. Aber lassen wir das lassen wir das
Spekulieren. Ich wollte meinen Sommer in der Bibliothek erzählen, nicht mehr, und da er nun zu Ende ging, mußte ich meine restlichen Sachen in den kniesockengefüllten Koffer legen und den Deckel zupressen. Das Fräulein half mir dabei. Als wir es endlich geschafft hatten, sah sie mich von der Seite an, lächelte und sagte: Keine Angst, dummer Bub. Die Socken sind gewaschen.
In der Nacht begann es zu regnen, kalte Winde wehten, der Herbst war da, und am andern Morgen, als ich wie immer in den Pantoffeln lag, hatten wir zu meiner Freude noch einmal Kundschaft. Es war eine sonderbare Truppe, gewiß, doch wurde sie bedient wie alle andern, der Türhüter öffnete mit letzter Kraft das Portal, und der Garderobier stellte sich hinter den Tresen, um halb im Schlaf entgegenzunehmen, was gemäß Vorschrift abzugeben war: Mantel, Schirme, Taschen, kurz, alles, was die heilige Bücherwelt und meinen Boden zu verletzen drohte. Dann kamen sie angeschlurft, vorsichtig sich um-blickend, und ein paar Augenblicke lang glaubte ich wirklich, es würde, wie Augustinus lehrt, keine Gegenwart geben, kein Jetzt, nur die Vergangenheit. Aber das waren nicht, wie ich zuerst geglaubt hatte, die jüdischen Flüchtlinge aus Großvaters Badeanstalt, das waren Penner und Hausierer, die an Bord der Bücherarche etwas Wärme suchten. Einer nach dem andern zitterte seine ausfransenden Schuhe in die Filzkappen hinein, dann rutschten sie unter das Portal, hoben langsam ihre Köpfe und stießen, von der funkelnden Pracht der Bücher und Bilder überwältigt, ein kaum hörbares Oh! aus.
Schutz vor dem Regen suchten sie, Schutz vor dem anbrausenden Herbst, aber da es nicht einmal den Aufsehern erlaubt war, sich zu setzen, zogen sie langsam von Vitrine zu Vitrine, betrachteten die Tuotilo-Tafeln, bestaunten die Nibelungen-Handschrift B, das berühmte Ecce-homo-Bild des Johann Michael Büchler aus Schwäbisch-Gmündt und die sonnen- und zeitversengten Holzkästchen, die Buch 7 einer 36bändigen Ausgabe des Tao-te-king enthielten, verfaßt vom Philosophen Lao-tse um 600 ante Christum natum.
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Ich war leise gekommen, so ist es hier üblich, man geht leise, man spricht leise, furzt leise
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