Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Fraeulein Stark

Titel: Fraeulein Stark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Huerlimann
Vom Netzwerk:
sie ihm mit Waldkräutern gewürzte Bachforellen. Im Winter stopfte sie Wärmflaschen unter seine Decken, und im Sommer, wenn er stöhnend unter der Hitze litt, zog sie ihm eine rotgefütterte, knisternd leichte Soutane über, angeblich eine Maßanfertigung, die eine Römer Exklusi-Boutique für Monsignore geschneidert hatte.
    Echte Seide, sagte das Fräulein Stark, etwas Feineres gibt es nicht.
    Doch, sagte ich, und dachte an die Bücherhandschuhe des Onkels.

4
    Wochen vor meiner Abreise hatte mich ein schlimmes Heimweh geplagt, auch Angst vor der Stark, doch kaum war ich angekommen, fühlte ich mich großartig, hier war es schöner als zu Hause, wo sie wieder einmal die Wickel’ kommode aufgestellt, die Wiege bezogen, die Geburtsanzeigen entworfen und Puder gekauft hatten: Baby^ puder. Es geschah zum dritten oder vierten Mal, und alle ahnten wir, daß es auch diesmal schiefgehen würde, nur Totes würde Mama gebären, einen blutig verschleimten Klumpen, den man an der Hintertür der Klinik an die Schweinemäster abgab. Damit wollte ich nichts zu tun haben, die Eltern hatten recht, in der Bibliothek war ich am richtigen Platz. Hinter dem Katalogsaal hatte ich eine eigene, mit alten Schwarten, Atlanten, Globen und Weltmodellen vollgerümpelte Kammer, ich durfte im Saal die Mumie berühren, in der Kathedrale auf der Orgelbank sitzen, durch den Estrich streunen, in die Keller steigen und vor allem: Der Onkel hatte mir einen Posten anvertraut, ich gehörte zur Mannschaft, ich war einer von ihnen. Du arbeitest nicht, hatte mir der Onkel eingeschärft, du bekleidest ein Amt. Ich hörte es gern, ich fühlte mich gut. Geld verdiente ich nicht, aber von Tag zu Tag, von Frau zu Frau wurde mein Dienst ein wenig spannender, ein wenig geheimnisvoller…
    Es begann um neun Uhr morgens. Durch das Treppenhaus des alten Klosters hörten wir unsere Besucherinnen laut schwatzend heraufkommen, die beiden Empfangsdiener jedoch -nach alter Gewohnheit waren sie zehn Minuten zu früh auf ihren Plätzen - ließen erst einmal die Köpfe sinken, müde waren sie, müde vom gestrigen Tag, müde vom lebenslangen Hocken und Warten und Dösen, und dachten nicht daran, ihre Tätigkeit vor dem endgültigen Verhallen des neunten Glocken-Schlags aufzunehmen. Dann hoben sie schließlich doch ihre behandschuhte Linke und hielten deren Rücken heftig zitternd vor den gähnenden Mund. War dies erledigt, sahen sie einander an, eine uralte, längst erloschene Verzweiflung im Gesicht, denn nun war neun vorbei, und über dem Eingang hatte doch tatsächlich die schwarze Glocke gewackelt! Man mußte aufstehen, man mußte den Riegel ziehen, man mußte die Besucherinnen einlassen. Der Türhüter öffnete das Portal, und der Garderobier, der ebenfalls weiße Handschuhe trug, eine grüne Uniformjacke und die zirkusartige Mütze, stellte sich hinter seinen Tresen, um halb im Schlaf entgegenzunehmen, was gemäß Vorschrift an der Garderobe abzugeben war: Mäntel, Schirme, Taschen, Rucksäcke, Picknickkörbe, Eßwaren, Wanderstöcke, kurz, alles, was die heilige Bücherwelt und den kostbaren Boden des Barocksaals zu verletzen drohte. Dann war es soweit. Die erste Busladung hatte sämtliche Jacken und Täschchen in Blechmünzen umgetauscht, die Damen trugen nur noch ihre Hüte und kamen, angeführt von einer Studienrätin mit knirschenden Gummischuhen, durch den langen Gang auf mich zugeschritten. Pardon, daß ich an dieser Stelle unterbreche

5
    doch bevor ich sagen kann, was meine Aufgabe war, muß ich vom Boden reden, vom Parkett der barocken Bücherkirche. Dieser Boden war aus Kirschbaum- und Tannenholz zusammengefügt, erhaben wie ein Schiffsdeck, wohlklingender als ein Geigenkasten, bref, wie der Onkel sagen würde, ohne sich dann im mindesten um diese Ankündigung zu kümmern, bref, also in Kürze:
    Eine heilige Bühne wars, die sich in der hölzernen Verkleidung der Wände, in den sanft gewellten Bücherschränken und rokokodünnen Wandpfeilern aufstrebend fortsetzte, die mal hell, mal dunkel in Rippen und Auszierungen hinauf-und hinauswuchs, sich aber auch um die Gewölbespiegel und Deckengemälde schmiegte, was dem Himmel, vom Kirschbaumholz umrankt, etwas Bödenständiges gab und dem Boden, übergössen von Sonnenlicht, etwas Himmlisches.
    Die Gummischuhe halten an, bleiben stehen.
    Ich stelle ein Paar Überzieh-Pantoffeln vor sie hin und die Studienrätin, von hoch oben herablächelnd, läßt ihre Füße hineinschlüpfen. Die nächste bitte!
    Auch sie

Weitere Kostenlose Bücher