Fragmente: Partials 2 (German Edition)
sich die scheußliche Verwirrung einstellte, die immer auf solche selbstkritischen Fragen folgte. Genau das will ich hier herausfinden, dachte sie. Ich brauche Antworten auf meine Fragen.
Sie setzte sich auf den löcherigen Asphalt und lehnte sich an den platten Reifen des Lieferwagens. Wieder einmal holte sie ihren Notizblock hervor, obwohl sie die Adresse längst auswendig kannte: Vierundvierzigste, Ecke Lexington. Sie hatte Wochen gebraucht, um die Adresse herauszufinden, und dann noch einmal mehrere Tage, um sich durch die Ruinen einen Weg hierher zu bahnen. Vielleicht war sie auch viel zu vorsichtig …
Unwirsch schüttelte sie den Kopf. Zu vorsichtig konnte man hier gar nicht sein. Die unbesiedelten Gebiete waren viel zu gefährlich, man durfte keinerlei Risiko eingehen, und Manhattan war sogar noch gefährlicher als die meisten anderen Gegenden. Sie hatte sorgfältig auf ihre Sicherheit geachtet und war noch am Leben. Eine Strategie, die sich als so wirkungsvoll erwiesen hatte, wollte sie nicht hinterfragen.
Noch einmal betrachtete sie die Adresse, dann wanderte ihr Blick zu den verwitterten Straßenschildern hinüber. Keine Frage – sie war am richtigen Ort. Sie schob den Block in die Hosentasche und wog das Gewehr in der Hand. Es wurde Zeit hineinzugehen.
Zeit, ParaGen einen Besuch abzustatten.
Das Bürogebäude war einst mit Glastüren und Fenstern vom Boden bis zur Decke ausgestattet gewesen. Nach dem Zusammenbruch hatten die Glaselemente nicht lange gehalten, und nun war das ganze Erdgeschoss der Witterung ausgesetzt. Dies war nicht der Hauptsitz von ParaGen – die Zentrale lag irgendwo im Westen auf der anderen Seite des Landes –, aber es war besser als nichts. Eine Finanzabteilung, die in Manhattan eingerichtet worden war, um als Schnittstelle zu den Buchhaltungen der anderen Konzerne zu dienen. Sie hatte Wochen gebraucht, um die Existenz dieses Büros herauszufinden. Kira tappte durch die Reste der geborstenen Sicherheitsverglasung und wich den Trümmern der Fassadenverkleidung aus, die sich in den oberen Stockwerken gelöst hatte. Nach elf Jahren der Verwahrlosung war auch der Boden im Innern von einer dicken Erdschicht bedeckt, aus der mittlerweile Unkraut und kleine Gräser hervorwuchsen. Niedrige Bänke, einst mit glattem Kunststoff bespannt, hatten im Sonnenlicht und im Regen gelitten und waren anscheinend von Katzenkrallen zerfetzt worden. Ein breiter Schreibtisch, an dem vermutlich früher eine Empfangsdame gesessen hatte, war vermodert und stand schief, ringsum lagen vergilbte Hausausweise verstreut. Einer Wandtafel war zu entnehmen, dass dieses Gebäude mehrere Dutzend Firmen beherbergt hatte. Kira überflog die verwitterten Buchstaben, bis sie ParaGen gefunden hatte: zwanzigstes Stockwerk. In der Wand hinter dem Empfangstisch gab es drei Aufzugtüren, eine hing schief im Rahmen. Kira kümmerte sich nicht weiter darum und ging zu der Tür in der hinteren Ecke, die zum Treppenhaus führte. Daneben war eine schwarze Tafel in die Wand eingelassen. Es war die Sensortafel einer elektrischen Verriegelung, die ohne Strom völlig nutzlos war. Die Scharniere stellten vermutlich das größte Problem dar. Kira stemmte sich gegen die Tür, schob sanft, um den Widerstand zu prüfen, dann fester, weil sich die alten Scharniere sperrten. Endlich gab die Tür nach, und sie konnte das turmhohe Treppenhaus betreten.
»Zwanzigster Stock.« Sie seufzte. »Na klar.«
Es war gefährlich, in den alten Gebäuden herumzuklettern, da sie schon im ersten Winter nach dem Zusammenbruch verwüstet worden waren: die Fenster geborsten, die Leitungen geplatzt. Im Frühling hatte sich in den Räumen und Wänden die Feuchtigkeit eingenistet. Zehnmal Frost und Tauwetter später, und die Wände waren verzogen, die Decken hingen durch, die Fußböden zersetzten sich. Der Schimmel eroberte das Holz und die Teppiche, Insekten bewohnten die Risse, die ehemals stabilen Gebäude verwandelten sich in gefährliche Türme aus Krümeln und Bruchstücken. Der Schutt, der noch nicht heruntergefallen war, wartete nur auf einen Tritt, einen Schritt oder eine laute Stimme, um zu Boden zu krachen. Größere Gebäude und besonders solche, die so neu waren wie dieses, erwiesen sich als erheblich widerstandsfähiger – ihr Gerippe bestand aus Stahl, das Fleisch aus versiegeltem Beton und Kohlenstofffasern. Die Haut, wenn man das Bild so weit treiben wollte, war natürlich trotzdem schwach – Glas, Putz, dünne Steinplatten und
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