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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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noch gefühlt außer den Wahrnehmungen von Hunger, Durst und Hitze!
    Von welch seltsamer Beschaffenheit ist das Wissen? Es haftet am Geist, wenn es ihn erst einmal befallen hat, wie eine Flechte am Felsen. Ich wünschte mir manchmal, alles Denken und Fühlen abzuschütteln. Doch ich lernte, daß es nur ein einziges Mittel gab, das Gefühl des Schmerzes zu überwinden, und das war der Tod – ein Zustand, den ich fürchtete, jedoch nicht verstand. Ich bewunderte die Rechtschaffenheit und guten Regungen und schätzte das edle Benehmen und die liebenswürdigen Eigenschaften meiner Häusler. Doch der Umgang mit ihnen war mir verwehrt, außer auf Wegen, die ich mir heimlich eröffnete, wenn man nichts von mir sah noch wußte, und die mein Verlangen, einer von ihnen, ein Gefährte unter Gefährten zu werden, eher steigerten als befriedigten. Agathes freundliche Worte und das lebhafte Lächeln der reizenden Araberin waren nicht für mich da. Die milden Ermahnungen des alten Mannes und das muntere Geplauder des geliebten Felix waren nicht für mich da. Armer unglücklicher Kerl!
    Andere Lektionen prägten sich mir, noch tiefer ein. Ich hörte vom Unterschied der Geschlechter, von der Geburt und dem Heranwachsen der Kinder, wie der Vater sich am Lächeln des ganz kleinen und den munteren Streichen des älteren Kindes ergötzte, wie alles Leben und Sorgen der Mutter in dem kostbaren Schützling aufgehe, wie der jugendliche Geist sich ausweite und Wissen erwerbe, von Bruder, Schwester und all den verschiedenen Verwandtschaftsbeziehungen, die menschliche Wesen wechselseitig untereinander verknüpfen.
    Aber wo waren meine Freunde und Verwandten? Kein Vater hatte meine Kindertage überwacht, keine Mutter mich mit ihrem Lächeln und ihren Liebkosungen beglückt. Oder falls es doch geschehen war, war jetzt mein ganzes früheres Leben ausgelöscht, ein blindes Nichts, in dem ich nichts erkannte. Von meiner frühesten Erinnerung an war ich an Größe und Gestalt so gewesen wie jetzt. Ich hatte noch nie ein Wesen gesehen, das mir geglichen oder Anspruch auf Umgang mit mir erhoben hätte. Was war ich? Diese Frage kehrte immer wieder, nur um mit tiefem Stöhnen beantwortet zu werden.
    Ich werde bald erklären, in welche Richtung diese Gefühle sich wendeten. Aber laß mich jetzt zu den Häuslern zurückkehren, deren Geschichte so verschiedenartige Gefühle der Empörung, der Begeisterung und des Staunens erregte, die jedoch alle in vermehrter Liebe und Verehrung für meine Beschützer endeten (denn so nannte ich sie, in einem harmlosen, halb schmerzhaften Selbstbetrug, gern vor mir selbst).

Vierzehntes Kapitel
    Einige Zeit verstrich, ehe ich die Lebensgeschichte meiner Freunde erfuhr. Sie war von einer Art, daß sie sich unabdingbar tief in mein Gemüt einprägen mußte, enthüllte sie doch zahlreiche Umstände, die jeder für sich für jemanden, so gänzlich unerfahren wie mich, interessant und erstaunlich waren.
    Der Name des alten Mannes war De Lacey. Er entstammte einer guten Familie in Frankreich, wo er viele Jahre lang im Wohlstand gelebt hatte, von Höherstehenden geschätzt und von seinesgleichen geliebt. Sein Sohn wurde im militärischen Dienst seines Vaterlandes herangezogen, und Agathe war den vornehmsten Damen ebenbürtig gewesen. Noch wenige Monate vor meiner Ankunft hatten sie in einer großen und reichen Stadt gewohnt, die Paris hieß, von Freunden umgeben und im Genuß jeder Freude, die Rechtschaffenheit, ein kultivierter Geist und Geschmack, dazu ein bescheidenes Vermögen, gewährleisten konnten.
    Safies Vater hatte sich als die Ursache ihres Ruins erwiesen. Er war ein türkischer Kaufmann und hatte bereits viele Jahre in Paris verbracht, als er sich aus irgendeinem Grund, den ich nicht erfuhr, bei der Obrigkeit verhaßt machte. Genau an dem Tag, als Safie aus Konstantinopel eintraf, um bei ihm zu bleiben, wurde er verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Man machte ihm den Prozeß und verurteilte ihn zum Tode. Die Ungerechtigkeit des Strafmaßes war empörend. Ganz Paris war aufgebracht, und man war der Ansicht, seine Religion und sein Reichtum seien eher als das ihm vorgeworfene Verbrechen der Grund für seine Verurteilung gewesen. Felix hatte zufällig dem Prozeß beigewohnt. Als er die Entscheidung des Gerichts vernahm, konnte er sein Entsetzen und seine Entrüstung nicht beherrschen. Auf der Stelle gelobte er feierlich, ihn zu retten, und sah sich dann nach den Mitteln um. Nach vielen fruchtlosen Versuchen, Zugang

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