Frankenstein
meine Nerven
erfrischt und mich mit Begeisterung erfüllt. Kannst Du dieses
Gefühl verstehen? Diese Brise, die aus den Regionen kommt, denen
ich zustrebe, gibt mir einen Vorgeschmack jener eisigen Himmelsstriche.
Von diesem Wind der Verheißung beflügelt, werden meine
Tagträume glühender und lebhafter.
Ich bemühe mich vergeblich, mir vor Augen zu halten, der Pol sei
die Stätte des Frosts und der Verlassenheit; er stellt sich meiner
Phantasie stets als die Region der Schönheit und der Wonne dar.
Dort, Margaret, ist die Sonne immer sichtbar; ihre breite Scheibe
streicht knapp am Horizont entlan und vergießt unablässigen
Glanz. Dort – denn wenn Du erlaubst, liebe Schwester, lege ich
einiges Vertrauen in vorhergehende Seefahrer –, dort sind Schnee
und Frost verbannt; und auf einer ruhigen See dahinsegelnd, treibt es
uns vielleicht in ein Land, das an Wundern und Schönheit jede
Gegend übertrifft, die man bisher auf dem bewohnbaren Erdball
entdeckt hat. Wie es sich darbietet und was es hervorbringt, mag ohne
Beispiel sein, so wie es auf die Phänomene der Himmelskörper
in jenen unentdeckten Einsamkeiten zweifellos zutrifft. Was kann man
von einem Land ewigen Lichts nicht alles erwarten? Vielleicht entdecke
ich dort die erstaunliche Kraft, die die Nadel anzieht, und finde eine
Regel für Tausende Himmelsbeobachtungen, die nur dieser Reise
bedürfen, damit ihre scheinbaren Ungereimtheiten für immer
auf einen Nenner kommen. Ich werde meine glühende Wißbegier
am Anblick eines Teils der Welt stillen, den vorher noch niemand
besucht hat, und betrete womöglich ein Land, wo noch nie der
Fuß eines Menschenseine Spur hinterlassen hat. Das ist es, was
mich lockt, und das ist genug, um jegliche Furcht vor Gefahr oder Tod
zu überwinden, und läßt mich diese mühselige Reise
mit einem Glücksgefühl antreten wie bei einem Kinde, das sich
mit seinen Feriengespielen in einem kleinen Boot zu einer
Entdeckungsreise den heimischen Fluß hinauf begibt. Doch
angenommen, alle diese Vermutungen wären irrig, kannst Du doch
nicht den unschätzbaren Nutzen bestreiten, den ich der ganzen
Menschheit bis hin zur letzten Generation bringe, wenn ich in
Polnähe eine Durchfahrt zu jenen Ländern entdecke, zu denen
die Reise bislang so viele Monate erfordert; oder wenn ich das
Geheimnis des Magneten entdecke, was sich, wenn
überhaupt, nur durch eine Unternehmung wie die meine erreichen läßt.
Diese Überlegungen haben die Erregung
vertrieben, mit der ich meinen Brief begann, und ich fühle mein
Herz von einer Begeisterung durchglüht, die mich in den Himmel
hebt; denn nichts trägt so sehr zur Beruhigung des Gemüts bei
wie ein fester Vorsatz – ein Punkt, auf den die Seele ihr inneres
Auge heften kann. Diese Expedition ist der Lieblingstraum meiner jungen
Jahre gewesen. Ich habe mit Inbrunst die Berichte über die
verschiedenen Reisen gelesen, die man in der Hoffnung unternommen hat,
den Nordpazifischen Ozean über die den Pol umgebenden
Gewässer zu erreichen. Du erinnerst Dich vielleicht, daß
eine Geschichte aller Entdeckungsreisen kühner Seefahrer die
gesamte Bibliothek unseres guten Onkels Thomas ausmachte. Meine
Schulbildung wurde vernachlässigt, dabei las ich leidenschaftlich
gern. Diese Bücher waren mein Studium bei Tag und Nacht, und meine
Vertrautheit mit ihrem Inhalt steigerte nur noch die Enttäuschung,
die mich als Kind erfüllt hatte, als ich erfuhr, daß mein
Vater auf seinem Sterbebett meinem Onkel eindringlich untersagt hatte,
mich ein Leben auf See wählen zu lassen.
Diese Visionen verblaßten, als ich zum ersten Mal jene Dichter
studierte, deren Ergießungen meine Seele entzückten und in
den Himmel hoben. Auch ich wurde Dichter und lebte ein Jahr lang in
einem selbsterschaffenen Paradies; ich stellte mir vor, auch ich
könne eine Nische in dem Tempel erringen, wo die Namen Homers und
Shakespeares geheiligt sind. Mein Fehlschlag ist Dir wohlbekannt, auch,
wie schwer ich an der Ernüchterung trug. Doch gerade damals erbte
ich das Vermögen meines Vetters, und meine Gedanken wandten sich
wieder ihrer früheren Neigung zu.
Sechs Jahre sind vergangen, seit ich mich zu meinem jetzigen
Unternehmen entschloß. Ich kann mich jetzt noch der Stunde
erinnern, von der an ich mich diesem großen Vorhaben widmete. Ich
begann damit, daß ich meinen Körper gegen Strapazen
abhärtete. Ich begleitete die Walfänger auf mehreren
Expeditionen ins Nordmeer; ich nahm freiwillig Kälte, Hunger,
Durst und Schlafmangel auf
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