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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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in das Gefängnis zu gewinnen, fand er in einem unbewachten Teil des Gebäudes ein stark vergittertes Fenster, das den Kerker des unglücklichen Mohammedaners erhellte, der in Ketten geschlagen verzweifelt die Vollstreckung des barbarischen Urteils erwartete. Felix suchte bei Nacht das Gitterfenster auf und teilte dem Häftling seine wohlmeinende Absicht mit. Verblüfft und hocherfreut wollte der Türke den Eifer seines Retters mit Verheißungen von Belohnung und Reichtum anfachen. Felix wies seine Angebote geringschätzig zurück, doch als er die liebliche Safie sah, die ihren Vater besuchen durfte und mit Gesten ihrer lebhaften Dankbarkeit Ausdruck gab, mußte sich der junge Mann eingestehen, der Häftling besitze einen Schatz, der seine Mühe und sein Wagnis voll belohnen würde.
    Der Türke bemerkte rasch, welchen Eindruck seine Tochter auf Felix’ Herz gemacht hatte, und versuchte, ihn noch fester an seine Sache zu binden, indem er ihm ihre Hand versprach, sobald er an einen sicheren Ort gelangt sei. Felix war zu feinfühlig, um dieses Anerbieten anzunehmen, doch sah er der Möglichkeit seiner Verwirklichung als dem Ziel seines Glücks entgegen.
    In den folgenden Tagen, während die Vorbereitungen zur Flucht des Kaufmannes fortschritten, fachten mehrere Briefe des schönen Mädchens Felix in seinem Eifer an. Mit Hilfe eines alten Mannes, eines Dieners ihres Vaters, der Französisch konnte, fand sie die Möglichkeit, ihre Gedanken in der Sprache ihres Verehrers auszudrücken. Sie dankte ihm in glühenden Worten für seine beabsichtigten Dienste zugunsten ihres Vaters und beklagte zugleich behutsam ihr eigenes Schicksal.
    Ich besitze Abschriften dieser Briefe, denn ich fand während meines Aufenthalts in dem Stall Mittel und Wege, mir Schreibmaterial zu beschaffen, und Felix und Agathe hatten diese Briefe oft in der Hand. Bevor ich gehe, gebe ich sie dir. Sie werden die Wahrheit meiner Geschichte beweisen, doch jetzt, da die Sonne sich schon weit geneigt hat, habe ich nur Zeit, dir ihren Inhalt wiederzugeben.
    Safie berichtete, ihre Mutter sei eine christliche Araberin, die die Türken gefangengenommen und zur Sklavin gemacht hätten. Ihre Schönheit habe das Herz von Safies Vater gewonnen, der sie heiratete. Das junge Mädchen sprach mit rühmenden und begeisterten Worten von ihrer Mutter, die, in Freiheit geboren, die Sklaverei verachtete, zu der sie jetzt herabgewürdigt war. Sie unterrichtete ihre Tochter in den Grundsätzen ihrer Religion und lehrte sie, höhere Geisteskräfte und eine Unabhängigkeit des Denkens anzustreben, wie sie den weiblichen Anhängern Mohammeds verwehrt sind. Diese Dame starb, doch ihre Lehren hatten sich Safies Geist unauslöschlich eingeprägt, so daß sie nur Widerwillen bei der Aussicht empfand, nach Asien zurückzukehren und in den Mauern eines Harems eingesperrt zu sein und sich lediglich mit kindischen Unterhaltungen beschäftigen zu dürfen, die so wenig zu dem Naturell ihrer Seele paßten, hatte sie sich doch an erhabene Gedanken und edles Streben nach der Tugend gewöhnt. Die Aussicht war für sie beglückend, einen Christen zu heiraten und in einem Land zu bleiben, wo es den Frauen gestattet war, einen geachteten Platz in der Gesellschaft innezuhaben.
    Der Tag für die Hinrichtung des Türken war bestimmt, doch in der Nacht zuvor entkam er aus seinem Gefängnis und war noch vor dem Morgen viele Meilen von Paris entfernt. Felix hatte Pässe auf den Namen seines Vaters, seiner Schwester und für sich selbst beschafft. Vorher hatte er ersterem seinen Plan mitgeteilt, und dieser unterstützte das Täuschungsmanöver, indem er unter dem Vorwand einer Reise sein Haus verließ und sich mit seiner Tochter in einem bescheidenen Viertel von Paris verbarg.
    Felix geleitete die Flüchtlinge durch Frankreich nach Lyon und über den Mont Cenis nach Livorno, wo der Kaufmann eine günstige Gelegenheit abwarten wollte, in irgendeinen Teil des türkischen Herrschaftsbereiches weiterzureisen.
    Safie entschloß sich, bis zum Moment der Abreise bei ihrem Vater zu bleiben, und der Türke wiederholte sein Versprechen, sie noch vorher mit ihrem Retter zu vermählen. Felix blieb in Erwartung dieses Ereignisses bei ihnen. Inzwischen genoß er die Gesellschaft der Araberin, die ihm die schlichteste und zärtlichste Zuneigung zu erkennen gab. Sie sprachen mit Hilfe eines Dolmetschers miteinander, und manchmal durch die Vermittlung von Blicken, und Safie sang ihm die himmlischen Lieder ihrer Heimat

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