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Franz Sternbalds Wanderungen

Franz Sternbalds Wanderungen

Titel: Franz Sternbalds Wanderungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Tieck
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diese wunderliche Musik, die der Himmel heute dichtet, in eure Malerei hineinlocken könntet! Aber euch fehlen Farben, und Bedeutung im gewöhnlichen Sinne ist leider eine Bedingung eurer Kunst.«
    »Ich verstehe, wie du es meinst«, sagte Sternbald, »und die freundlichen Himmelslichter entwanken und entfliehen, indem wir sprechen. Wenn du auf der Harfe musizierst, und mit den Fingern die Töne suchst, die mit deinen Phantasien verbrüdert sind, so daß beide sich gegenseitig erkennen, und nun Töne und Phantasie in der Umarmung gleichsam entzückt immer höher, immer mehr himmelwärts jauchzen, so hast du mir schon oft gesagt, daß die Musik die erste, die unmittelbarste, die kühnste von allen Künsten sei, daß sie einzig das Herz habe, das auszusprechen, was man ihr anvertraut, da die übrigen ihren Auftrag immer nur halb ausrichten, und das Beste verschweigen: ich habe dir so oft recht geben müssen, aber, mein Freund, ich glaube darum doch, daß sich Musik, Poesie und Malerei oft die Hand bieten, ja daß sie oft ein und dasselbe auf ihren Wegen ausrichten können. Freilich ist es nicht nötig, daß immer nur Handlung, Begebenheit mein Gemüt entzücke, ja es scheint mir sogar schwer zu bestimmen, ob in diesem Gebiete unsre Kunst ihre schönsten Lorbeern antreffe: allein erinnere dich nur selbst der schönen, stillen, heiligen Familien, die wir angetroffen haben; liegt nicht in einigen unendlich viele Musik, wie du es nennen willst. Ist in ihnen die Religion, das Heil der Welt, die Anbetung des Höchsten nicht wie in einem Kindergespräche offenbart und ausgedrückt? Ich habe bei den Figuren nicht bloß an die Figuren gedacht, die Gruppierung war mir nur Nebensache, ja auch der Ausdruck der Mienen, insofern ich ihn auf die gegenwärtige Geschichte, auf den wirklichen Zusammenhang bezog. Der Maler hat hier Gelegenheit, die Einbildung in sich selbst zu erregen, ohne sie durch Geschichte, durch Beziehung vorzubereiten.«
    »Am meisten ist mir das, was ich so oft von der Malerei wünsche, bei allegorischen Gemälden einleuchtend«, sagte Rudolph.
    »Gut, daß du mich daran erinnerst!« rief Franz aus, »hier ist recht der Ort, wo der Maler seine große Imagination, seinen Sinn für die Magie der Kunst offenbaren kann: hier kann er gleichsam über die Grenzen seiner Kunst hinausschreiten, und mit dem Dichter wetteifern. Die Begebenheit, die Figuren sind ihm nur Nebensache, und doch machen sie das Bild, es ist Ruhe und Lebendigkeit, Fülle und Leere, und die Kühnheit der Gedanken, der Zusammensetzung findet erst hier ihren rechten Platz. Ich habe es ungern gehört, daß man diesen Gedichten so oft den Mangel an Zierlichkeit vorrückt, daß man hier tätige Bewegung und schnellen Reiz einer Handlung fordert, wenn sie statt eines einzelnen Menschen die Menschheit ausdrücken, statt eines Vorfalls eine erhabene Ruhe. Gerade diese anscheinende Kälte, die Unbiegsamkeit im Stoffe ist das, was mir so oft einen wehmütigen Schauder bei der Betrachtung erregte: daß hier allgemeine Begriffe in sinnlichen Gestalten mit so ernster Bedeutung aufgestellt sind, Kind und Greis in ihren Empfindungen vereinigt, daß das Ganze unzusammenhängend erscheint, wie das menschliche Leben, und doch eins um des andern notwendig ist, wie man auch im Leben nichts aus seiner Verkettung reißen darf, alles dies ist mir immer ungemein erhaben erschienen.«

»Ich erinnere mich«, antwortete Rudolph, »eines alten Bildes in Pisa, das dir auch vielleicht gefallen wird; wenn ich nicht irre, ist es von Andrea Orgagna gemalt. Dieser Künstler hat den Dante mit besondrer Vorliebe studiert, und in seiner Kunst auch etwas Ähnliches dichten wollen. Auf seinem großen Bilde ist in der Tat das ganze menschliche Leben auf eine recht wehmütige Art abgebildet. Ein Feld prangt mit schönen Blumen von frischen und glänzenden Farben, geschmückte Herren und Damen gehen umher, und ergötzen sich an der Pracht. Tanzende Mädchen ziehen mit ihrer muntern Bewegung den Blick auf sich, in den Bäumen, die von Orangen glühn, erblickt man Liebesgötter, die schalkhaft mit ihren Geschossen herunterzielen, über den Mädchen schweben andre Amorinen, die nach den geschmückten Spaziergängern zur Vergeltung zielen. Spielleute blasen auf Instrumenten zum Tanz, eine bedeckte Tafel steht in der Ferne. – Gegenüber sieht man steile Felsen, auf denen Einsiedler Buße tun und in andächtiger Stellung beten, einige lesen, einer melkt eine Ziege. Hier ist die Dürftigkeit

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