Franz Sternbalds Wanderungen
verliebt bin, aber du ängstigest mich mit deinen Reden; wozu wäre es auch, da wir so bald abreisen müssen?«
Florestan lachte, und gab ihm gar keine Antwort. – »Nun, wie haben dir die neulichen Lieder gefallen?« sagte er, »und die Lichter, der Wald? Nicht wahr, es war der Mühe wert, fröhlich zu sein?«
»Du marterst mich nur«, sagte Sternbald, als Rudolph geendigt hatte, »sprich wie du willst, ich werde niemals deiner Meinung sein. Man kann sich in einem leichtsinnigen Augenblicke vergessen, aber wenn man freiwillig den Sinnen den Sieg über sich selbst einräumt, so erniedrigt man sich dadurch unter sich selbst.«
»Du willst ein Maler sein, und sprichst so?« rief Rudolph aus, »oh, laß ja die Kunst fahren, wenn dir deine Sinnen nicht lieber sind, denn durch diese allein vermagst du die Rührungen hervorzubringen. Was wollt ihr mit allen euren Farben darstellen und ausrichten, als die Sinnen auf die schönste Weise ergötzen? Durch nichts kann der Künstler unsre Phantasie so gefangennehmen, als durch den Reiz der vollendeten Schönheit, das ist es, was wir in allen Formen entdecken wollen, wonach unser gieriges Auge allenthalben sucht. Wenn wir sie finden, so sind es auch nicht die Sinne allein, die in Bewegung sind, sondern alle unsre Entzückungen erschüttern uns auf einmal auf die lieblichste Weise. Der freie unverhüllte Körper ist der höchste Triumph der Kunst, denn was sollen mir jene beschleierten Gestalten? Warum treten sie nicht aus ihren Gewändern heraus, die sie ängstigen und sind sie selbst? Gewand ist höchstens nur Zugabe, Nebenschönheit. Das griechische Altertum verkündigt sich in seinen nackten Figuren am göttlichsten und menschlichsten. Die Dezenz unsers gemeinen prosaischen Lebens ist in der Kunst unerlaubt, dort in den heitern, reinen Regionen ist sie ungeziemlich, sie ist unter uns selbst das Dokument unsrer Gemeinheit und Unsittlichkeit. Der Künstler darf seine Bekanntschaft mit ihr nicht verraten, oder er gibt zu erkennen, daß ihm die Kunst nicht das Liebste und Beste ist, er gesteht, daß er sich nicht ganz aussprechen darf, und doch ist sein verschlossenes Innerstes gerade das, was wir von ihm begehren.«
In einigen Tagen war ihre Abreise beschlossen; die Gräfin hatte den versprochenen Brief an die italienische Familie geschrieben, den Sternbald mit großer Gleichgültigkeit in seine Brieftasche legte; er zeigte ihn auch seinem Freunde nicht, sondern war sogar ungewiß, ob er ihn abgeben solle.
Als sie das Schloß verlassen hatten, als beide Freunde sich auf der weiten Heerstraße befanden, war Rudolph nachdenklich, weniger fröhlich und leichtsinnig, als man ihn sonst sah, er schien Erinnerungen zu bekämpfen, die ihn beinahe schwermütig machten.
»Kein Mensch«, rief er endlich aus, »kann seine frohe Laune verbürgen, es kommen Augenblicke und Empfindungen, die ihn wie in einem Kerker verschließen, und ihn nicht wieder freigeben wollen. Ich denke eben daran, wie ohne Not und ohne Zweck ich mich hier herumtreibe, und indessen das vernachlässige, was doch das einzige Glück in der Welt ist. Wahrlich, ich könnte in manchen Augenblicken so schwermütig sein, daß ich weinte, oder tiefsinnige Elegien niederschriebe, daß ich auf meinen Instrumenten Töne hervorsuchte, die in Steine und Felsen Mitleiden hineinzwängen. Oh, mein Freund, wir wollen uns nicht mit unnützem Gram den gegenwärtigen Augenblick verkümmern, diese Gegenwart, in der wir jetzt sind, kömmt nicht zum zweiten Male wieder, mag doch ein jeder Tag für das Seine sorgen.«
Es wurde Abend, ein schöner Himmel erglänzte mit seinen wunderbaren, buntgefärbten Wolkenbildern über ihnen. »Sieh«, fuhr Rudolph fort, »wenn ihr Maler mir dergleichen darstellen könntet, so wollte ich euch oft eure beweglichen Historien, eure leidenschaftlichen und verwirrten Darstellungen mit allen unzähligen Figuren erlassen. Meine Seele sollte sich an diesen grellen Farben ohne Zusammenhang, an diesen mit Gold ausgelegten Luftbildern ergötzen und genügen, ich würde da Handlung, Leidenschaft, Komposition und alles gern vermissen, wenn ihr mir, wie die gütige Natur heute tut, so mit rosenrotem Schlüssel die Heimat aufschließen könntet, wo die Ahndungen der Kindheit wohnen, das glänzende Land, wo in dem grünen, azurnen Meere die goldensten Träume schwimmen, wo Lichtgestalten zwischen feurigen Blumen gehn und uns die Hände reichen, die wir an unser Herz drücken möchten. Oh, mein Freund, wenn ihr doch
Weitere Kostenlose Bücher