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Franz Sternbalds Wanderungen

Franz Sternbalds Wanderungen

Titel: Franz Sternbalds Wanderungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Tieck
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gingen an ihm vorüber, reichten ihm die kleinen Hände und hießen ihn so herzlich willkommen, daß er heftig im Innersten erschrak, daß er nun wieder unter dem alten Baume stehe und wieder dasselbe denke und empfinde, er noch derselbe Mensch sei. Alle zwischenliegenden Jahre, und alles, was sie an ihm vermocht hatten, fiel in einem Augenblicke von ihm ab, und er stand wieder als Knabe da, die Zeit seiner Kindheit lag ihm so nahe, daß er alles übrige nur für einen vorüberfliegenden Traum halten wollte. Ein Wind rauschte herüber und ging durch die großen Äste des Baums, und alle Gefühle, die fernsten und dunkelsten Erinnerungen wurden mit herübergeweht, und wie Vorhänge fiel es immer mehr von seiner Seele zurück, und er sah nur sich und die liebe Vergangenheit. Alle frommen Empfindungen gegen seine Eltern, der Unterricht, den ihm seine ersten Bücher gaben, sein Spielzeug fiel ihm wieder bei und seine Zärtlichkeit gegen leblose Gestalten.
    »Wer bin ich?« sagte er zu sich selber und schaute langsam um sich her. »Was ist es, daß die Vergangenheit so lebendig in meinem Innern aufsteigt? Wie konnte ich alles, wie konnte ich meine Eltern so lange, fast, wenn ich wahr sein soll, vergessen? Wäre es möglich, daß uns die Kunst gegen die besten und teuersten Gefühle verhärten könnte? Und doch kann es nur das sein, daß dieser Trieb mich zu sehr beschäftigte, sich mir vorbaute und die Aussicht des übrigen Lebens verdeckte.«
    Er stand in Gedanken, und die Malerstube, und Albrecht, und seine Kopien kamen ihm wieder in die Gedanken, er setzte seinen Freund Sebastian sich gegenüber und hörte schnell wieder durch, was sie nur je miteinander gesprochen hatten; dann sah er wieder um sich, und die Natur selbst, der Himmel, der rauschende Wald und sein Lieblingsbaum schienen Atem und Leben zu seinen Gemälden herzugeben, Vergangenheit und Zukunft bekräftigten seinen Trieb, und alles was er gedacht und empfunden, war ihm nur deswegen wert, weil es ihn dieser Liebe zugeführt hatte. Er ging mit schnellen Schritten weiter und alle Bäume schienen ihm nachzurufen, aus jedem Busche traten Erscheinungen hervor und wollten ihn zurückhalten, er taumelte aus einer Erinnerung in die andere, und verlor sich in ein Labyrinth von seltsamen Empfindungen.
    Er kam auf einen freien Platz im Walde, und plötzlich stand er still. Er wußte selbst nicht, warum er innehielt, er verweilte, um darüber nachzudenken. Ihm war, als habe er sich hier auf etwas zu besinnen, das ihm so lieb, so unaussprechlich teuer gewesen sei; jede Blume im Grase nickte so freundlich, als wenn sie ihm auf seine Erinnerungen helfen wollte. »Es ist hier, gewißlich hier!« sagte er zu sich selber und suchte emsig nach dem glänzenden Bilde, das wie von schwarzen Wolken in seiner innersten Seele zurückgehalten wurde. Mit einem Male brachen ihm die Tränen aus den Augen, er hörte vom Felde herüber eine einsame Schalmei eines Schäfers, und nun wußte er alles. Als Knabe von sechs Jahren war er hier im Walde gegangen, auf diesem Platze hatte er Blumen gesucht, ein Wagen kam dahergefahren und hielt still, eine Frau stieg ab und hob ein Kind herunter, und beide gingen auf dem grünen Plane hin und her, dem kleinen Franz vorüber. Das Kind, ein liebliches blondes Mädchen, kam zu ihm und bat um seine Blumen, er schenkte sie ihr alle, ohne selbst seine Lieblinge zurückzubehalten, indes ein alter Diener auf einem Waldhorne blies, und Töne hervorbrachte, die dem jungen Franz damals äußerst wunderbar in das Ohr erklangen. So verging eine geraume Zeit, indem er das volle Antlitz des Kindes betrachtete, das ihn wie ein voller Mond anschaute und anlächelte: dann fuhren die Fremden wieder fort, und er erwachte wie aus einem Entzücken zu sich und den gewöhnlichen Empfindungen, den gewöhnlichen Spielen, dem gewöhnlichen Leben von einem Tage zum andern hinüber. Dazwischen klangen immer die holden Waldhornstöne in seine Existenz hinein und vor ihm stand glühend und blühend das holde Angesicht des Kindes, dem er seine Blumen geschenkt hatte, nach denen er im Schlummer oft die Hände ausstreckte, weil ihn dünkte, das Mädchen neige sich über ihn, sie ihm zurückzugeben. Er wußte und begriff nicht, warum ihm dieser Augenblick seines Lebens so wichtig und glänzend war, aber alles Liebe und Holde entlehnte er von dieser Kindergestalt, alles Schöne was er sah, trug er in des Mädchens Bild hinüber: wenn er von Engeln hörte, glaubte er einen zu kennen

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