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Franz Sternbalds Wanderungen

Franz Sternbalds Wanderungen

Titel: Franz Sternbalds Wanderungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Tieck
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»Diese Blümchen erhielt ich von dem schönsten und freundlichsten Knaben, als ich sechs Jahr alt, meine erste Reise über Mergentheim machte.«
    »So bist du es gewesen, mein Genius, mein schützender Engel!« rief er aus. »Du bist mir wieder vorüber gegangen, und ich kann mich nicht finden, ich kann mich nicht zufriedengeben. Auf diesem Platze hier sind diese Blumen gewachsen, schon vierzehn Sommer sind indessen über die Erde gegangen, und auf diesem Platze halte ich nach so langer Zeit das teure Geschenk wieder in meinen Händen. Du warst es, Botin des Himmels, für die ich mein erstes Bild aufgestellt habe, dein Auge mußte es erleuchten, deinen Wohlgefallen hat es erregt, und du hast dein Knie in frommer Herzensdemut davor geneigt. O wann werd ich dich wiedersehen? Kann es Zufall sein, daß du mir wieder begegnet bist?«
    Es gibt Stunden, in denen das Leben einen gewaltsamen, schnellen Anlauf nimmt, wo die Blüten plötzlich aufbrechen und alles sich in und um den Menschen verändert. Dieser Tag war für Sternbald ein solcher; er konnte sich gar nicht wieder erholen, er wünschte nichts und dürstete doch nach den wunderbarsten Begebenheiten, er sah über seine Zukunft wie über ein glänzendes Blumenfeld hin, und doch genügte ihm keine Freude, er war unzufrieden mit allem, was da kommen konnte, und doch fühlte er sich so überselig.
    Außerdem enthielt das Taschenbuch nichts, woraus er den Namen oder den Aufenthalt der wunderbaren Fremden, mit der er doch so vertraut zu sein wähnte, hätte erfahren können. Auf der einen Seite stand:
»zu Antwerpen ein schönes Bild von Lukas von Leyden gesehn.«
    und dicht darunter:
»ebendaselbst, ein unbeschreibliches schönes Kruzifix vom großen Albert Dürer.«
    Er küßte das Blatt zu wiederholten Malen, er konnte heut seine Empfindungen durchaus nicht bemeistern. Es war ihm zu seltsam und zu erfreulich, daß die Engelsgestalt, die er so fernab im Traume seiner Kindheit gesehen hatte, seinen Dürer verehrte, den er so genau kannte, dessen Freund er war, daß sie ihn durch ihr Lob seines ersten Gemäldes zum Künstler geweiht hatte. Sein Schicksal schien ein wunderbarer Einklang von Gesängen, er konnte nicht genug darüber sinnen, ja er konnte an diesem Tage vor Entzücken nicht müde werden.

Achtes Kapitel
    Franz hatte seinem Sebastian diese Begebenheiten geschrieben, die ihm so merkwürdig waren; es war nun die Zeit verflossen, die er seinem Aufenthalte in seinem Geburtsorte gewidmet hatte, und er besuchte nur noch einmal die Plätze, die ihm in seiner Kindheit so bekannt geworden waren: dann nahm er Abschied von seiner Mutter.
    Er war wieder auf dem Wege, und nach einiger Zeit schrieb er seinem Freunde noch einen zweiten Brief:
     
    Liebster Bruder!
    Manchmal frage ich mich selbst mit der größten Ungewißheit, was aus mir werden soll. Bin ich nicht plötzlich ohne mein Zutun in ein recht seltsames Labyrinth verwickelt? Meine Eltern sind mir genommen und ich weiß nicht, wem ich angehöre, meine Freunde habe ich verlassen, jenen glänzenden Engel habe ich nur wie ein vorbeifliegendes Schimmerbild wahrgenommen. Warum treten mir diese Verwickelungen in den Weg, und warum darf ich nicht wie die übrigen Menschen einen ganz einfachen Lebenswandel fortsetzen? –
    Ich glaube manchmal, und schäme mich dieses Gedankens, daß mir meine Kunst zu meinem Glücke nicht genügen dürfte, auch wenn ich endlich weiter und auf eine höhere Stufe gekommen sein sollte. Ich sage nur Dir dieses im Vertrauen, mein liebster Sebastian, denn jeder andere würde mir antworten: »Nun, warum legst Du nicht Palette und Pinsel weg, und suchst durch gewöhnliche Tätigkeit den Menschen nützlich zu werden und dein Brot zu erwerben?« Es kann sein, daß ich besser täte, aber alle dergleichen Gedanken fallen mir jetzt sehr zur Last. Es ist etwas Trübseliges darin, daß das ganze große menschliche Leben mit allen seinen unendlich scheinenden Verwickelungen durch den allerarmseligsten Mechanismus umgetrieben wird; die kümmerliche Sorge für morgen setzt sie alle in Bewegung, und die meisten dünken sich noch was Rechts, wenn sie dieser Beweggrund in recht heftige Tätigkeit ängstigt.
    Ich weiß nicht, wie Du diese Äußerungen ansehen wirst, ich fühle es selbst, wie notwendig der Fleiß dem Menschen ist, ebenso, wie man ihn mit Recht edel nennen kann. Aber wenn alle Menschen Künstler wären, oder Kunst verständen, wenn sie das reine Gemüt nicht beflecken und im Gewühl des Lebens

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