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Fratze - Roman

Titel: Fratze - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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gewonnen.
    nichts, schreibe ich auf meinen Block.
    es ist nichts. »Sie haben nicht getrauert«, sagt Schwester Katherine. »Sie müssen einmal richtig weinen, und dann geht das Leben weiter. Sie nehmen die Sache viel zu gefasst.«
    Ich schreibe:
    bringen sie mich nicht zum lachen. mein gesicht, schreibe ich, der doktor sagt, dann weint meine wunde.
    Immerhin hatte mal jemand was gemerkt. Diese ganze Zeit hindurch war ich gefasst. Ich war der Inbegriff der Gefasstheit. Ich bin nie, niemals in Panik geraten. Gleich nach dem Unfall sah ich mein Blut, den Rotz und meine Zähne übers Armaturenbrett verspritzt, aber Hysterie ohne Publikum ist einfach unmöglich. Ganz für sich in Panik zu geraten, ist das Gleiche, als würde man allein in einem leeren Zimmer lachen. Man kommt sich bloß albern vor.
    Als der Unfall passierte, wusste ich sofort, dass ich sterben würde, wenn ich nicht die nächste Ausfahrt vom Freeway nehme, rechts auf die Northwest Gower biege, zwölf Blocks geradeaus und dann auf den Parkplatz vor der Notaufnahme des La Paloma Memorial Hospital fahre. Ich stellte mein Auto ab. Ich nahm meine Schlüssel und meine Tasche und marschierte los. Die Glastür glitt zur Seite, bevor ich mein Spiegelbild darin erkennen konnte. Die Menschen drinnen, all die Leute, die dort mit ihren gebrochenen Beinen und erstickenden Babys warteten, auch sie glitten alle zur Seite, als sie mich sahen.

    Danach dann das intravenöse Morphium. Die winzige OP-Maniküreschere, die mein Kleid zerschnitt. Das fleischfarbene kleine Dreieckshöschen. Die Polizeifotos.
    Der Polizeibeamte, der mein Auto nach Knochensplittern abgesucht hat, der Typ, der zig Leute gesehen hat, denen der Kopf von halboffenen Autofenstern abgetrennt worden war, eines Tages kommt er wieder zu mir und sagt, es gebe da nichts mehr zu finden. Vögel, Möwen, vielleicht auch Elstern. Sie sind ins Auto gekommen, wo ich es vor dem Krankenhaus abgestellt hatte, durch das zersplitterte Fenster. Die Elstern haben alles aufgefressen, was der Beamte die Weichgewebeindizien nennt. Die Knochen haben sie wahrscheinlich weggetragen.
    »Wissen Sie, Miss«, sagt er, »die zerschlagen sie auf Steinen. Um an das Knochenmark zu kommen.«
    Auf den Block schreibe ich mit Bleistift:
    ha, ha, ha.
     
    Springt zu der Zeit, kurz bevor meine Verbände abkommen, als die Sprachtherapeutin sagt, ich sollte auf die Knie fallen und Gott danken, dass er mir die Zunge im Kopf gelassen hat, unversehrt sogar. Wir sitzen in ihrem Betonkabuff, der halbe Raum zwischen uns ausgefüllt von einem Stahlschreibtisch, und die Therapeutin erklärt mir, wie ein Bauchredner seine Puppe zum Sprechen bringt. Man darf ja nicht sehen, nicht wahr, wie der Bauchredner seinen Mund bewegt. Er darf seine Lippen im Grunde nicht benutzen, also drückt er die Zunge gegen den Gaumen, um Worte zu bilden.
    Statt eines Fensters hat die Therapeutin ein Poster von einem Kätzchen, das mit Spaghetti bedeckt ist, und darunter die Worte:

    Betone das Positive.
    Sie sagt, wenn man einen bestimmten Laut nicht hervorbringen kann, soll man ihn durch einen ähnlichen Laut ersetzen; zum Beispiel, sagt die Therapeutin, kann man das englische th anstelle des f verwenden. Der Kontext, in dem der Laut erscheint, sorgt dafür, dass man verstanden wird.
    »Ich würde lieber thischen gehen«, sagt die Therapeutin.
    dann gehen sie doch thischen, schreibe ich.
    »Nein«, sagt sie, »wiederholen Sie.«
    Mein Hals ist immer wund und trocken, obwohl ich den ganzen Tag Flüssiges mit dem Strohhalm zu mir nehme. Das Narbengewebe rund um meine unversehrte Zunge ist glatt und steinhart verkrumpelt.
    Die Therapeutin sagt: »Ich würde lieber thischen gehen.«
    Ich sage: »Salghrew jfwoiew fjfowi sdkifj.«
    »Nein, nein, so nicht«, sagt die Therapeutin. »Sie machen es nicht richtig.«
    Ich sage: »Solfjf gjoie ddd oslidjf?«
    Sie sagt: »Nein, so ist es auch nicht richtig.«
    Sie blickt auf ihre Armbanduhr.
    »Digri vrior gmjgi g giel«, sage ich.
    »Sie müssen viel üben, aber machen Sie’s für sich«, sagt sie. »Und jetzt noch mal.«
    Ich sage: »Jrogier fi fkgoewir mfofeinf fcfd.«
    Sie sagt: »Gut! Hervorragend! Sehen Sie, ist doch gar nicht so schwer!«
    Auf meinen Block schreibe ich mit Bleistift:
    leck mich.

    Springt zu dem Tag, an dem sie mir die Verbände abschnitten.
    Man weiß nicht, was man erwarten soll, aber da sind wirklich sämtliche Ärzte und Schwestern, Assistenten, Praktikanten und Pfleger, Hausmeister und Köche aus dem

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