Fratze - Roman
»Xidi cniwuw sis sacnc!«
Da, genau in diesem Moment, sagt ein Junge: »Sieh mal!«
Alle, die nicht hinsehen und nicht sprechen, hören auf zu atmen.
Der kleine Junge sagt: »Sieh mal, Mom, da drüben! Das Monster da klaut was zu essen.«
Alle wollen vor Verlegenheit im Erdboden versinken. Alle Köpfe sacken zwischen die Schultern, es sieht aus, als würden sie auf Krücken gehen. Sie lesen ihre Schlagzeilen angestrengter als je zuvor.
Monsterfrau stiehlt Eins-a-Feiertagsgeflügel
Und da stehe ich, in meinem pikanten Baumwollkreppkleid, einen gut zehn Kilo schweren Truthahn im Arm, der Truthahn ist am Schwitzen, mein Kleid ist fast durchsichtig. Meine Brustwarzen sind steinhart an dem gelb verpackten Eis in meinen Armen. Ich unter meiner Buttercremefrisur. Niemand, der mich anstarrt, als hätte ich den bedeutenden was weiß ich gewonnen.
Eine Hand hebt sich und scheuert dem kleinen Jungen eine, und der Junge fängt an zu heulen.
Der Junge heult so, wie du es tun würdest, wenn du gar nichts getan hast, aber trotzdem bestraft wirst. Draußen geht die Sonne unter. Hier drinnen ist alles tot, mit Ausnahme dieser kleinen Stimme, die immerzu schreit: Warum hast du mich gehauen? Ich hab doch gar nichts gemacht. Warum hast du mich gehauen? Was hab ich denn getan?
Ich nahm den Truthahn unter den Arm. Ich ging so
schnell ich konnte zurück zum La Paloma Memorial Hospital. Es war fast dunkel.
Die ganze Zeit habe ich den Truthahn im Arm und sage mir: Truthähne. Möwen. Elstern.
Vögel.
Vögel haben mein Gesicht aufgefressen.
Zurück im Krankenhaus, kommt mir im Flur Schwester Katherine entgegen, sie führt einen Mann und seinen Infusionsständer durch die Gegend, der Mann ist vollständig in Gaze eingewickelt, und an ihm hängen Kanülen und Plastikbeutel mit gelben und roten Flüssigkeiten, die in ihn hinein- und aus ihm herauströpfeln.
Vögel haben mein Gesicht gefressen.
Immer näher kommend, ruft Schwester Katherine: »Huhuu! Ich habe hier jemanden für Sie, den Sie unbedingt kennenlernen müssen!«
Vögel haben mein Gesicht gefressen.
Zwischen ihnen und mir liegt die Praxis der Sprachtherapeutin, und als ich dort hinein abtauche, sitzt da zum dritten Mal Brandy Alexander. Die Königin alles Guten und Gütigen trägt ein Versace-artiges ärmelloses Kleid mit dem in dieser Saison aktuellen überwältigenden Gefühl von Verzweiflung und korrupter Schicksalsergebenheit. Körperbewusst und doch gedemütigt. Beschwingt und doch verkrüppelt. Die Queen Supreme ist das wunderschönste Etwas, das ich je gesehen habe, also posiere ich ein bisschen an der Tür herum, um sie von dort aus zu beobachten.
»Männer«, sagt die Therapeutin, »betonen beim Reden das Adjektiv.« Die Therapeutin sagt: »Ein Mann würde zum Beispiel sagen: ›Du bist heute so attraktiv ‹.«
Brandy ist so attraktiv, dass man ihr den Kopf abhacken
und ihn auf blauem Samt im Schaufenster von Tiffany’s ausstellen könnte, und jemand würde ihn für eine Million Dollar kaufen.
»Eine Frau würde sagen: ›Du bist heute so attraktiv‹«, sagt die Therapeutin. »Jetzt Sie, Brandy. Sagen Sie es. Betonen Sie das Umstandswort, nicht das Adjektiv.«
Brandy Alexander richtet ihre Burning-Blueberry-Augen auf mich an der Tür und sagt: »Posiermädchen, du bist so gottserbärmlich hässlich. Hast du einen Elefanten auf deinem Gesicht sitzen lassen oder was?«
Bei Brandys Stimme, da höre ich kaum, was sie sagt. In diesem Moment empfinde ich für Brandy nichts als Bewunderung. Alles an ihr fühlt sich gut an, so als wäre man schön und würde in den Spiegel schauen. Brandy ist auf der Stelle meine königliche Familie. Mein Ein und Alles, wofür es sich zu leben lohnt.
Ich sage: »Cfoieb svns ois«, und stopfe der Sprachtherapeutin den kalten, nassen Truthahn auf den Schoß, so dass sie unter zwölf Kilo totem Fleisch auf ihrem Schreibtischrollsessel aus Leder feststeckt.
Vom Flur her, immer näher kommend, brüllt Schwester Katherine: »Huhuu!«
»Mriuvn wsi sjaoi aj«, sage ich und schiebe die Therapeutin samt ihrem Stuhl auf den Flur. Ich sage: »Jownd winc sm fdo dcncw.«
Die Sprachtherapeutin, sie lächelt mir zu und sagt: »Sie brauchen mir nicht zu danken, dafür bin ich doch da.«
Die Nonne ist jetzt mit dem Mann und seinem Infusionsständer angekommen, ein neuer Mann ohne Haut oder mit zerstörtem Gesicht oder allen Zähnen rausgeschlagen, ein Mann, der perfekt zu mir passen würde. Meine wahre Liebe. Mein deformierter,
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