Fratze - Roman
eine Suspension inerter fötaler Feststoffe in hydriertem Mineralöl. Der springende Punkt ist, wenn ich ehrlich bin, dreht sich bei mir alles nur um mich.
Der springende Punkt ist, falls nicht der Zähler läuft und irgendein Fotograf ruft: Gib mir Einfühlsamkeit.
Dann das Blitzlicht.
Gib mir Anteilnahme.
Blitz.
Gib mir brutale Aufrichtigkeit.
Blitz.
»Lass mich nicht hier auf dem Fußboden sterben«, sagt Brandy, und ihre großen Hände greifen nach mir. »Meine Haare«, sagt sie, »meine Haare werden hinten ganz plattgedrückt.«
Der springende Punkt ist, ich weiß, dass Brandy wahrscheinlich sterben wird, aber ich kann mich einfach nicht recht darauf konzentrieren.
Evie schluchzt jetzt noch lauter. Dazu kommt, dass die Feuerwehrsirenen, obwohl sie noch ziemlich weit weg sind, mich zur Königin von Migränehausen krönen.
Das Gewehr dreht sich weiter auf dem Fußboden, wird aber immer langsamer.
Brandy sagt: »So wollte Brandy Alexander nicht ihr Leben verlieren. Vorher soll sie eigentlich berühmt werden. Sie soll im Fernsehen auftreten, in der Halbzeitpause des Super Bowl, und nackt eine Diätcola trinken, in Zeitlupe, bevor sie stirbt.«
Das Gewehr hört auf zu kreisen und ist auf niemanden gerichtet.
Der schluchzenden Evie schreit Brandy zu: »Halt die Klappe!«
»Halt selber die Klappe«, schreit Evie zurück. Hinter ihr frisst sich das Feuer durch den Treppenstufenbelag nach unten.
Die Sirenen, man hört sie kreischend durch West Hills ziehen. Die Leute werden sich gegenseitig über den Haufen rennen, um den Notruf zu wählen und der Held des
Tages zu sein. Niemand scheint auf das große Fernsehteam vorbereitet zu sein, das jeden Moment aufkreuzen muss.
»Das ist deine letzte Chance, Schätzchen«, sagt Brandy, und ihr Blut ist allmählich überall. Sie sagt: »Liebst du mich?«
Wenn Leute solche Fragen stellen, das ist der Moment, wo man ins Abseits gedrängt wird.
Auf diese Tour überlassen sie dir die Rolle des besten Nebendarstellers.
Noch größer als das brennende Haus ist die ungeheure Erwartung, dass ich die drei abgelutschtesten Worte zu sagen habe, die man in einem Drehbuch finden kann. Die bloßen Worte geben mir ein Gefühl, als würde ich’s mir selbst besorgen. Dabei sind es einfach nur Worte, sonst nichts. Ohne Macht. Vokabeln. Dialog.
»Sag es mir«, sagt Brandy. »Liebst du mich? Liebst du mich wirklich?«
Das ist die große Theaternummer, die Brandy ihr ganzes Leben lang gespielt hat. Brandy Alexanders nonstop durchgezogenes Live-Action-Theater, nur dass es jetzt mit jedem Augenblick weniger live ist.
Einfach um einen kleinen Bühneneffekt zu erzielen, ergreife ich Brandys Hand. Das ist eine nette Geste, aber andererseits macht mir die Bedrohung durch hämatogene Krankheitserreger eine Heidenangst, und dann, rumms, stürzt die Decke des Esszimmers ein, und Funken und Glut stieben durch die Tür in unsere Richtung.
»Auch wenn du mich nicht lieben kannst, erzähl mir wenigstens mein Leben«, sagt Brandy. »Ein Mädchen kann nicht sterben, ohne dass ihr Leben noch einmal vor ihren Augen vorüberzieht.«
Praktisch niemand kriegt seine emotionalen Bedürfnisse befriedigt.
In diesem Moment frisst sich das Feuer durch den Treppenbelag bis zu Evies nacktem Arsch, und Evie springt schreiend auf und poltert auf ihren verkokelten weißen Stöckelschuhen die Treppe runter. Nackt und haarlos, nur mit Draht und Asche bekleidet, läuft Evie durch die Vordertür einem größeren Publikum entgegen, ihren Hochzeitsgästen, dem Silber und Kristall und der eintreffenden Feuerwehr. Das ist die Welt, in der wir leben. Die Bedingungen verändern sich, und wir uns mit ihnen.
Es wird also natürlich die ganze Zeit um Brandy gehen, mit mir als Moderatorin und Gastauftritten von Evie Cottrell und dem tödlichen Aids-Virus. Brandy, Brandy, Brandy. Die arme Brandy, sie liegt auf dem Rücken, sie befühlt das Loch, durch das ihr Leben auf den Marmorfußboden rinnt, und sagt: »Bitte. Erzähl mir mein Leben. Erzähl mir, wie wir bis an diesen Punkt gelangt sind.«
Und so bin ich also hier und schlucke Rauch, nur um diesen Brandy-Alexander-Augenblick zu dokumentieren.
Gib mir Aufmerksamkeit.
Blitz.
Gib mir Anbetung.
Blitz.
Gib mal nicht so an.
Blitz.
2
E rwartet nicht, dass dies eine Geschichte wird, wo es immer heißt: und dann, und dann, und dann.
Was hier passiert, wird euch eher vorkommen wie etwas in einer Modezeitschrift, ein Durcheinander à la Vogue oder Glamour , wo man
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